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Stammleser des skandinavischen Bestseller-Autors Jo Nesbo kennen genau wie den Schriftsteller auch seinen Dauer-Anti-Helden Harry Hole. Der hatte Oslo verlassen, nun kommt er zurück und wird wieder einmal auch mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert.

Ist „Die Larve“, der neue Nesbo, also nur etwas für Leute, die den Autor und seinen Dauer-Protagonisten schon kennen? Nein, würde ich sagen.

Was es sonst noch alles zu diesem Roman zu erzählen gibt, dazu nun auf bewährte Weise Stück für Stück mehr!

 

 

Inhaltsverzeichnis
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1. Der Autor: Jo Nesbo

2. Ort und Zeit der Handlung

3. Die Hauptfiguren

\*\*\*a) Harry Hole

\*\*\*b) Gusto Hansen

\*\*\*c) Tord Schultz

\*\*\*d) Sergej

\*\*\*e) Oleg

4. Die Geschichte

5. Themen

\*\*\*a) Drogen

\*\*\*b) Schicksalsschläge

6. Erzählweise

7. Zielgruppe

8. Daten zum Buch

9. Pro & Contra

10. Fazit

 

 

1. Der Autor: Jo Nesbo

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Es gibt Anhänger der skandinavischen und Anhänger der englischsprachigen Literatur. Normalerweise gehöre ich eher zur zweiten Gruppe. Trotzdem ist mir schon einmal ein Werk des Norwegers Nesbo, Der Schneemann, in die Hände gefallen.

Der Autor ist Jahrgang 1960, schon als Kind kam er durch seine Mutter, eine Bibliothekarin, mit Büchern in Berührung. Er selber wurde aber zunächst Diplom-Kaufmann und Finanzanalyst. Künstlerisch tobte und tobt er sich als Sänger und Komponist aus bevor er 1997 mit Flaggermusmannen (1999 in Deutschland als „Fledermausmann“ erschienen) seinen ersten Harry-Hole-Krimi veröffentlichte. Direkt für sein erstes Buch erhielt Nesbo Preise. Seine Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

 

 

2. Ort und Zeit der Handlung

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Nesbos Heimatstadt Oslo ist Schauplatz von „Die Larve“. Harry Hole kehrt in die norwegische Hauptstadt zurück. Und Autor Nesbo beschreibt (soweit ich das als eine Person, die noch nie in Oslo war, beurteilen kann), kenntnisreich die verschiedenen Viertel der Stadt, die sich im Laufe der Zeit gewandelt haben.

Die Zeit der Handlung ist die Gegenwart. Nesbo legt sich hier nicht konkret auf einen bestimmten Monat oder ein Jahr fest, was die Geschichte etwas zeitlos macht.

Es gibt aber einen zeitlichen Faktor, der ganz interessant ist und der auch in die Erzählweise mit hinein spielt: Ein Erzählstrang ist nämlich im Rückgriff erzählt, es ist der Erzählstrang eines Toten, der aus seiner Sicht erzählt, wie sich die Ereignisse vor seinem Tod entwickelt haben. Diese Perspektive ist relativ überraschend und neu und somit auch reizvoll.

 

 

3. Die Hauptfiguren

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\*\*\*a) Harry Hole

Der Ex-Star-Ermittler der Osloer Kriminalpolizei ist klar der zentrale Held der Geschichte – ich sollte besser sagen der Anti-Held. Denn ein Reiz an der Figur Harry Hole ist die Tatsache, dass er nicht der gut aussehende, perfekte Ermittler ist. Er ist der Mann mit dem großen Alkoholproblem, sein bester Kumpel heißt Jim (Bean). Er ist vom Leben gezeichnet, hat inzwischen eine große Narbe vom Ohr bis zum Mund, hat eine Fingerkuppe verloren, hat aber auch reichlich innere Narben. Seine langjährige Beziehung zu Rakel ging über die Ereignisse des Schneemann-Falls kaputt, mit Rakel verlor Harry auch Oleg, für den er wie ein Vater war.

Danach hatte es Harry nach Hongkong gezogen, dort war er quasi Geldeintreiber. Nun ist Oleg in Schwierigkeiten und Harry ist zurück in seinem alten Revier in Oslo.

 

\*\*\*b) Gusto Hansen

Gusto ist jung und schön, einer, dem kaum jemand widerstehen kann. Halt, da stimmt was nicht: Gusto Hanse WAR jung und schön. Denn sein Handlungsstrang ist anders, ist ungewöhnlich. Gusto ist nämlich bereits tot – und erinnert sich daran, wie sich die Ereignisse entwickelt haben.

Gusto ist „der Dieb“, einer, der sich alles unter den Nagel reißt, was er in die Finger bekommt. Und Gusto ist Drogendealer, einer der das Geschäft kennt und auch hier seinen Charme nutzt, um die Leute um den Finger zu wickeln. So hat er auch Oleg zum Drogenkonsum und zum Dealen verführt.

 

\*\*\*c) Tord Schultz

Schultz ist Pilot, unterwegs auf den großen internationalen Flügen, am Steuer der großen Maschinen. In so einer Position könnte er ein Mann sein, den alle bewundern und fast schon beneiden. Schultz kommt rum, Schultz ist wichtig, Schultz hat Chancen bei den Frauen. Und die hat er auch reichlich ausgenutzt und nebenbei auch ganz gerne ein paar Drogen genommen. Zu reichlich. Als ihm seine Frau auf die Schliche kam, setzte sie ihm die Pistole auf die Brust: Sie wollte alles an Geld – andernfalls, so drohte sie ihm, wollte sie Tord auffliegen lassen. Doch wenn sein Drogenkonsum bekannt würde, würde er auch seine Stelle als Pilot verlieren und somit alles, was ihm noch blieb ... Da sein Geld futsch war (er musste es ja seiner Frau überlassen), nahm Tord die „Chance“ war, als Drogenkurier gutes Geld für seine Sucht dazu zu verdienen. Doch dieses Spiel ist genauso heikel.

 

\*\*\*d) Sergej

Sergej ist ein junger Russe. Sein Onkel Andrej hat Sergejs Lebenslauf sauber geputzt und ihm einen Job in der Putzkolonne des Osloer Flughafens verschafft. Dort soll Sergej die Drogen, die Piloten wie Schultz ins Land bringen, weiter befördern. Doch Sergej hofft auf größere Aufgaben. Vom Onkel hat er schon ein Messer – und mit dem soll er tatsächlich einen Mord begehen und sich so in der Hierarchie nach oben arbeiten.

 

\*\*\*e) Oleg

Oleg ist Harry Holes ehemaliger Quasi-Stiefsohn, er ist der Sohn von Rakel. Eigentlich war er ein ziemlich normaler Jugendlicher, liebte Musik und Sport, bewunderte seinen Quasi-Stiefvater Harry und dessen Job als Ermittler.

Doch dann kam die Trennung von Rakel und Harry, Rakel zog vorübergehend mit Oleg nach Amsterdam, kehrte dann aber wieder zurück, weil sie Angst hatte, dass Oleg abrutschen würde. Doch im beschaulicheren Oslo kam er erst recht in die falschen Kreise – vor allem in die von Gusto. Und er kam schließlich sogar in den kaum zu widerlegenden Verdacht, Gusto ermordet zu haben.

 

 

4. Die Geschichte

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Jo Nesbos neuester Harry-Hole-Fall „Die Larve“ hat so einige Handlungsstränge und Anfänge. Da ist die Geschichte von Gusto Hansen. Der junge, schöne Mann ist ermordet – wir hören aber trotzdem seine Gedanken und erfahren Stück für Stück, wie schwer er es einerseits in seiner Familie hatte, wie hilfreich sein attraktives Äußeres aber für ihn war und wie er sich als Drogendealer nach oben gearbeitet hat. Auf diese Weise nähert sich Gusto, auf diese Weise nähern sich mit Gusto auch die Leser Stück für Stück der Szene an, in der er ermordet wurde.

Dann ist da Tord Schultz, der Flugkapitän. Er nervt ein wenig, denn Schultz ist wehleidig, sieht jetzt schon den Tag in Sicht, an der er in den Ruhestand gehen muss. Schultz schmuggelt Drogen, unter anderem im Griff seines Koffers. Normalerweise gilt er als Pilot sicher vor Kontrollen. Doch Schultz hat Pech, der Zoll greift ihn auf. Nun scheint alles vorbei: Die Karriere, die Chance, durch den Drogentransport Geld zu verdienen und vieles mehr. Dann kommt es aber zu einer ungewöhnlichen Begegnung: Ein Ermittler gibt sich als Helfer aus, lässt die echten Drogen verschwinden, Schultz ist wieder frei, aber zunächst vom Dienst als Pilot internationaler Flüge suspendiert.

Mit Schultz ist auch ein alter Bekannter der Nesbo-Romane nach Oslo zurückgekehrt, ein braun gebrannter Mann im Leinenanzug, Harry Hole. Der kehrt in sein altes Revier zurück, merkt beim Spaziergang durch die Straßen, wo Drogenhändler unterwegs sind, wie sich das Viertel verändert hat. Doch sein eigentlicher Grund zur Rückkehr ist Oleg. Für ihn war Harry jahrelang wie ein Vater. Nun sitzt Oleg im Gefängnis. Er wurde unter Drogeneinfluss aufgegriffen, Schmauchspuren waren an seinen Händen, alles deutete geradezu unumstößlich darauf hin, dass Oleg Gusto Hansen ermordet hat. Harrys frühere Polizeikollegen sehen auch keine echte Chance, den Fall neu aufzurollen, immerhin lassen sie ihn zu Oleg. Doch der will nichts von Harry wissen. Hole gibt dennoch nicht auf. Aber auch seine nächsten Schritte, der Sache auf den Grund zu gehen, führen nicht weiter.

 

 

5. Themen

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\*\*\*a) Drogen

Drogen sind ein Kernthema dieses Romans. Auch hier schreibt Nesbo – soweit ich das als unwissende Leserin beurteilen kann – scheinbar kenntnisreich. Es gibt verschiedene Gruppen, die unterschiedliche Arten von Stoff vertreiben, es gibt Systeme, mit denen die kleinen Dealer trotzdem relativ sicher vor dem Zugriff der Ermittler sein sollen. Und es gibt mafiöse Strukturen im Hintergrund, Methoden, mit denen Leute, die den Hintermännern in die Quere kommen, gefoltert und aus dem Weg geschafft werden.

An sich ist all das als Thema nicht so neu, nicht so reizvoll. Was dem Ganzen aber in Nesbos neuem Roman trotzdem Würze gibt, ist die Tatsache, dass auch etwas ungewöhnlichere Personen in den Drogenhandel verwickelt werden. Da ist zum einen Tord Schultz. Er ist (zumindest für mich als Frau) nicht der große Sympathieträger. Denn er gehört zu den Menschen, die für sich fast alle Freiheiten in Anspruch nehmen wollen und dann bestürzt sind, wenn man ihnen in die Parade fährt und dabei vor Selbstmitleid zu zerfließen beginnen. Das ist nicht grade bewundernswert. Aber es ist auch nicht unbedingt am nahe ligendsten, dass ein Mann auf einem eigentlich begehrten Posten (als Flugkapitän) in den Drogenhandel einsteigt.

Auch Oleg ist nicht der typische Dealer, der typische Drogenkonsument. In seinem Lebenslauf gibt es zwar Momente, die durchaus dem Klischee entsprechen, so die Tatsache, dass er immer wieder allein bei seiner Mutter aufgewachsen ist, also nicht sehr eng und gut behütet in einer klassischen Mutter-Vater-Kind-Familie. Andererseits war er ja lange Zeit das, was man als anständig bezeichnet, ein Jugendlicher/junger Mann, der normale Hobbys im Blick hatte, der Harry als Vaterfigur bewunderte und ihm auch beruflich nacheifern wollte. Bei ihm ist eher dem Klischee entsprechend, dass er in der Phase, in der sich Rakel und Harry getrennt hatten und er sich allein fühlte, von einem scheinbaren Freund, von Gusto Hansen, in die Welt der Drogen entführen ließ.

 

\*\*\*b) Schicksalsschläge

Schicksalsschläge machen Figuren in jedem Roman interessant, weil sie ihnen Brüche verleihen, weil die Figuren dadurch nicht nur glatt und eindimensional wirken.

Harry Hole hat diese Brüche, der ehemalige Ermittler ist wahrscheinlich grade auch deswegen ein attraktiver Dauer-(Anti-)Held der Nesbo-Romane, weil einiges mit- und durchgemacht hat. Er war nicht nur Kommissar, der seine Fälle nüchtern von außen geklärt hat, er war auch selber betroffen – und hat dadurch unter anderem seine Beziehung zu Rakel verloren und damit auch seinen Stief-Sohn Oleg.

Brüche auf andere Art hat auch Tord Schultz – durch seine gescheiterte Ehe und dadurch, dass er von seiner (Ex-)Frau erpresst wird, ihr gleich alles Geld zu überlassen, da sie sonst seinen Drogenkonsum aufzudecken und somit auch seine Karriere als Pilot zu ruinieren droht.

Bei den eher etwas zwilichtigeren Charakteren wie Gusto und Sergej gibt es ebenfalls Brüche, es sind aber welche, die den Weg in der Unterwelt eher bestätigen und die Richtung, die ihr Leben nimmt, nicht überraschend verändern.

 

 

6. Erzählweise

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Charakteristisch für die Art und Weise, wie Jo Nesbo auch seinen neuen Roman „Die Larve“ erzählt, ist der Wechsel zwischen verschiedenen Handlungssträngen. Da sind unter anderem der (ehemalige) Ermittler Harry Hole, der Drogendealer Gusto Hansen, der Pilot Tord Schultz und der russische Kriminelle Sergej, an deren Seite man als Leser geführt wird. Grundsätzlich ist keiner dieser Charaktere richtig uninteressant. Daher funktioniert auch der Wechsel zwischen den verschiedenen Figuren. Zusätzlich verleiht Nesbo seiner Geschichte Würze, indem er Gustos Perspektive aus der Position eines Toten erzählt, der rückblickend schildert, wie sich die Ereignisse in der Vergangenheit Schritt für Schritt entwickelt haben.

Für mich persönlich ist trotz der genannten Vorzüge der Wechsel zwischen den Charakteren etwas zu viel. Ich habe es lieber, wenn ich stärker an einzelne Figuren angebunden werde und diese intensiver begleiten kann. Das fehlt mir in Nesbos Roman ein wenig. Dazu kommt eine weiterer Punkt: Nesbo schildert oft Details, die mich nicht so interessieren.

 

 

7. Zielgruppe

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Fans von Nesbo, Anhänger der skandinavischen Krimi-Kunst werden sicher auch „Die Larve“ gerne lesen. Es ist ein guter, ein solider Roman, allerdings auch einer, der für mich einige Längen hat.

Ansonsten gelten als grundsätzliche Zielgruppe Leute, die Krimis und etwas verschrobenere, komplexere Protagonisten mögen. Und es ist auch ein Roman insbesondere für diejenigen, die eher unblubtigere Kriminalfälle vorziehen. Denn im Gegensatz zu meinen Lieblingsautorinnen Tess Gerritsen und Karin Slaughter beschreibt Nesbo in „Die Larve“ weder brutale Morde noch ebenfalls blutige Autopsien.

 

 

 

8. Daten zum Buch

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Jo Nesbo – Die Larve

Gebundene Ausgabe: 576 Seiten

Verlag: Ullstein Hardcover (4. Oktober 2011)

ISBN-10: 3550088736

ISBN-13: 978-3550088735

 

 

9. Pro & Contra

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Pro

- Wiederlesen mit Harry Hole

- interessanter Ermittler

- interessante Figuren

- teilweise ungewöhnliche Erzählperspektive.

 

Contra

- viele Längen

- zu viele Erzählstränge

 

 

10. Fazit

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Fans von Harry Hole, aber auch Krimi-Leser, die gerne unblutige Geschichten haben, werden den neuen Nesbo, werden „Die Larve“ sicher gerne lesen. In seinem neunten Fall kehrt Nebsos Dauer-Anti-Held Harry Hole nach Oslo zurück – um einen Mord aufzuklären, der ihn ganz persönlich betrifft. Denn alle Hinweise scheinen eindeutig zu belgen, dass Holes (ehemaliger) Quasi-Stiefsohn Oleg der Täter war. All das ist eine gute Ausgangsposition für eine spannende Geschichte, die Nesbo mit insgesamt interessanten Charakteren garniert. Dabei fällt auch auf, dass einer der Handlungsstränge aus der ungewöhnlichen Erzählperspektive eines Toten, der zurück blickt, geschildert wird. So erfährt man als Leser nach und nach, wie sich die Dinge entwickelt haben.

Allerdings hatte die Geschichte für mich viele Längen. Nach einem ordentlichen Auftakt habe ich mich schwer getan, in einem Rutsch größere Strecken zu lesen. Mich persönlich haben die häufigen Perspektivwechsel da ausgebremst.

Insgesamt vergebe ich daher knappe vier Sterne (eigentlich 3 ½) und eine Empfehlung.