Nicht mein Fall

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Dem Filmemacher Konstantin Stein fehlt der richtige Stoff für sein nächstes Projekt, und fängt auf der Suche danach an, die eigene Familiengeschichte zu recherchieren. Stimmen die Erzählungen, die er von seinen Verwandten kennt? Was wurde vielleicht beschönigt, was unter den Teppich gekehrt? Als Leser begleiten wir Konstantin auf der einen Seite, auf der anderen lesen wir die Lebensgeschichte seiner Großmutter Elena Silber, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Russland geboren wurde. 93 Jahre ist sie geworden, hat also fast das gesamte Jahrhundert erlebt, und dieses hat sie und ihre Familie beeinflusst. Wie genau, das erzählt Alexander Osang in seinem Roman Die Leben der Elena Silber auf 624 Seiten.

Ich war eher zufällig über diesen Roman bei Vorablesen gestolpert, und direkt gespannt auf die Handlung. Russland ist eh mein Steckenpferd, und die Andeutung, dass Lena ihrer Familie eine wohl eher beschönigte Fassung ihres Lebens erzählt hat, hat meine Neugierde geweckt. Dazu das tolle Cover, eine vielversprechende Leseprobe und die Aussicht auf einen literarischen Roadtrip nach Russland – immer her damit! Was ich mit Die Leben der Elena Silber dann aber bekommen habe, war sehr dröge, schwere Kost. Irgendwie habe ich es durch 387 Seiten geschafft, aber es war ein Kampf, und einer, der mich nicht motiviert hat, es weiter zu probieren. Ich habe etwas mit mir gerungen, da ich gerade Leseexemplare ungern abbreche, aber bei diesem hier hatte es einfach keinen Mehrwert für mich. Die Gründe hierfür mag ich aber gerne erläutern, denn gegebenenfalls sind es Dinge, die ein anderer Leser gerade in seiner Lektüre sucht.

DAS LEIDIGE ÄLTERWERDEN
Der große Stein des Anstoßes zu Beginn des Romans ist die Tatsache, dass Konstantins Eltern alt sind und der Vater nun in ein Pflegeheim zieht. Dieser Umstand nimmt einen großen Raum ein, Konstantin sperrt sich zuerst dagegen, wir sehen die Zustände im Elternhaus, dann Besuche im Pflegeheim und viele Gedanken Konstantins kreisen hierum. Das alles ist sehr realistisch beschrieben von Osang – fast schon zu realistisch, den mit genau diesem Thema musste ich mich die letzten Monate beschäftigen, und es war schwer, darüber noch zusätzlich zu lesen.

FAMILIENGESCHICHTE UND PERSPEKTIVE
Der Klappentext macht nun keinen Hehl daraus, dass es sich bei diesem Roman um eine Familiengeschichte handelt, an der wir unter anderem die Geschehnisse des vergangenen Jahrhunderts erfahren. Das ist eigentlich nichts, was mich direkt anspricht, und so wusste ich schon, dass es für mich ein Ausflug in eher unbekanntes literarisches Terrain sein würde. Leider hat sich dabei für mich aber gezeigt, dass mich so eine Familiengeschichte nicht packen kann. Vor allem nicht, wenn keine charismatische oder zumindest interessante Person dabei ist. Die Familie von Konstantin besteht zwar aus einem bunten Mix, was die Berufe angeht, aber das war’s auch. Niemand ist sympatisch, niemand löst in einem das Bedürfnis aus, mehr über ihn oder sie zu erfahren.

WARTEN AUF.. WORAUF EIGENTLICH?
Der Roman plätschert zu Beginn sehr vor sich hin, und will nicht an Fahrt aufnehmen. Durch den Klappentext weiß man, dass sich Konstantin irgendwann mit Elenas Leben auseinandersetzen wird, bis dahin vergehen allerdings Seiten über Seiten. Ebenso weiß man, dass Elena nicht mehr lebt – Konstantin kann sie also nicht einfach Dinge fragen, ihr ‚Ende‘ ist aber schon fest. Egal, was geschieht, dadurch ist einem als Leser klar, dass sie es aus diversen schwierigen Situationen schaffen wird. Ebenfalls klar ist auch, dass sie ihren Kindern und Enkeln nicht die volle Wahrheit erzählt haben wird. Weil wer beschönigt nicht Ereignisse oder seine Taten in Erzählungen? Lässt unschönes mal unter den Tisch fallen oder spricht es gar nicht erst an? Das war vermutlich mein größtes Problem an dieser Lektüre, das Gefühl, das ich mich auf keine Erkenntnis, kein Aha!, zu bewege. Wenn aber das Ziel schon so klar ist, dann hätten die Charaktere oder der Schreibstil mich festhalten sollen, und daran hat’s schlussendlich gehapert. Dazu passt auch schon fast ironischerweise dieses Zitat aus dem Buch, über welches ich in zahlreichen Besprechungen gestolpert bin:

"Man brauchte Hoffnung, man brauchte eine Geschichte." | S.593