Eine tief verletzte Kinderseele

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clara_fall Avatar

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Salome Jensen wird mit 3 Jahren vom Reparateur des Warmwasserboilers aus ihrem Elternhaus entführt und fortan ist dieser Mann ihr "Daddy". Er macht sie mit einer Lebensweise bekannt, der für ein so kleines Mädchen völlig ungeeignet ist und doch fühlt sie Geborgenheit und später, als Daddy sie verlässt, auch Trauer und Sehnsucht. Kurze Zeit wird sie von der Vermieterin der Bungalowsiedlung aufgenommen, doch schon bald zieht es sie in die Welt hinaus und fühlt sich für gewisse Zeit in Waschsalons zu Hause. Dort lernt sie Tim kennen, der sie heiraten möchte. Doch ungenannte Geschehnisse führen dazu, dass sie Tim und deren Großmutter wegen Kindesmißbrauchs vor Gericht bringt. Immer wieder tauchen staatliche Kinderschützer auf, doch auch diesen gelingt es nicht, Sal für längere Zeit unter Aufsicht zu halten. Bald schon ist sie wieder unterwegs und erneut begegnet sie ihrem Daddy, der nun sogar eine Schwester für sie hat, die sich in einem erbärmlichen Zustand befindet. Erneut wird sie von ihm verlassen, wandert durch die Wüste und begegnet einem sprechenden Kojoten. Sie lernt einen altjungen Mann kennen, wohnt bei ihm und erregt dort großes Aufsehen. Die Leute wollen sie sehen und erkennen teilweise eine Heilsbringerin in ihr. Bis eines Tages ein Schulbus auftaucht, deren Fahrerin sie zu ihren richtigen Eltern zurückbringt. Doch statt eines großartigen Wiedersehens gibt es nur Zurückhaltung, Hilflosigkeit und Entfremdung.
Während man das Buch liest, kann man die Handlung ständig aus anderen Blickwinkeln sehen und immer wieder neue Erklärungen in das scheinbar unerklärliche Verhalten des Mädchens hineininterpretieren. Der Autor bleibt größtenteils bei seiner recht kindlichen Art, die Dinge zu beschreiben und so kann man sich als Leser meist nur seinen Teil denken, um eine Antwort auf das Warum zu bekommen. Meine Erklärung ist, dass es sich hier um eine tief verletzte Kinderseele handelt - verletzt durch den gedankenlosen, sicher auch mißbrauchenden Umgang mit Erwachsenen. Allmählich teilt sich ihr inneres Ich, sie gibt sich andere Namen oder sieht ihr Ich als ihre Schwester, obwohl sie es selbst ist, die sich in diesem erbärmlichen Zustand befindet. Sie lehnt alle Angebote ab, wenn es darum geht, sich Spielzeug auszusuchen oder einfach nur eine Umarmung zu bekommen. Die Wüstenwanderung und die Begegnung des Kojoten - ist sie krank und erlebt das alles nur im Fieberwahn?
Ich versuche, Erklärungen zu finden und doch bleibe ich ratlos zurück. Manchmal habe ich das Gefühl, einige Passagen hat der Autor im Drogenrausch geschreiben, weil man einfach keine Grundlage finden kann. Andererseits gibt es viele Stellen im Buch, bei denen es sich lohnt innezuhalten und deren tieferen Sinn zu ergründen. Insgesamt also ein sehr rätselhaftes, widersprüchliches Buch. Bei der LP glaubte ich noch, dass es Ähnlichkeiten zu Emma Donoghues "Raum" aufweist und ebenso nachhaltig in Erinnerung bleiben wird. Leider wurden diese Erwartungen nicht erfüllt. Das Cover ist passend zum Inhalt, es könnte von Sal stammen.