Starker Anfang, schwaches Ende

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Starker Anfang – schwacher Mittelteil – laues Ende: so lässt sich meine Leseerfahrung von John Lanchesters neuem Roman „Die Mauer“ zusammenfassen.

„Die Mauer“ spielt in einem zukünftigen Großbritannien. Die Insel ist ringsum von einer Mauer umgeben – zum Schutz vor dem Wasser, aber auch vor Flüchtlingen. Vieles bleibt in dieser Dystopie im Unklaren, viele Entwicklungen werden nur angedeutet. Wie weit der Roman in der Zukunft spielt, wird nicht gesagt, ebenso wenig wie die Entwicklungen aussahen. Andeutungen zeigen, dass Rohstoffe wie Öl knapp sind, dass Wut auf die Eltern wegen der Folgen des Klimawandels das gesellschaftliche Klima beherrscht, dass ein neues Sklavensystem mit sogenannten „Dienstlingen“ etabliert wurde, dass die meisten Menschen sich nicht mehr fortpflanzen wollen.

Warum es aber dazu kam, wird im Roman nicht aufgelöst. Die Zukunft ist wie sie ist, basta. Das stört am Anfang beim Lesen nicht, denn umso wuchtiger wirkt die Mauer. Ein kalter, unheimlicher Koloss, auf dem die Hauptfigur ihren Dienst tut. Der Grenzschutz ist kein beliebter Dienst und es ist kein einfacher Dienst. Die Flüchtlinge, die es abzuwehren gilt, werden „die Anderen“ genannt – eine andere Bezeichnung haben sie nicht. Dass nicht alle Bewohner mit der Existenz der Mauer einverstanden sind und sich einen anderen Umgang mit den „Anderen“ wünschen, erfährt man im Buch – aber auch das bleibt sehr im Vagen.

Was am Anfang noch funktioniert, weil so die gesamte Aufmerksamkeit auf der Mauer liegt, scheitert im Mittelteil des Buches allerdings kläglich. Immer mehr wünscht man sich weitere, tiefer gehende Informationen. Doch wo anfangs sprachgewaltige Bilder einen fesseln, langweilen einen nun langwierige und langweilige Dialoge. Das Kraftvolle des ersten Teils ist völlig verflogen. Wäre dieser mittlere Teil wenigstens dazu genutzt worden, darzustellen, wie die Entwicklungen vonstatten gingen, hätte mich dies mit dem Buch etwas versöhnt – aber diese Chance wurde vertan.

Und auch der Schlussteil macht es nicht besser. Die Handlung gewinnt zwar nochmals an Fahrt, aber der Hauptfigur wächst kein politisches Bewusstsein. Wo Reibungen, Auseinandersetzungen über die gesellschaftlichen Verhältnisse möglich gewesen wären, wo Menschen unterschiedlicher Ansichten aufeinanderprallen, werden Diskussionen tunlichst vermieden. Die Hauptperson ist und bleibt ein Unpolitischer.

Es ist nachvollziehbar, dass der Verlag das Buch aufgrund seiner scheinbaren Aktualität durch den Brexit auf dem deutschen Markt stark gepusht hat. Berechtigt ist dies freilich nicht. „Die Mauer“ ist alles andere als ein großer Wurf.

Ein Textauszug vom ersten (besseren) Teil des Romans findet sich hie