Südstaatenschmöker mit einigen Schwächen

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caillean79 Avatar

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Mit der indianischen Legende eines Kriegers, dessen Schicksal es ist, die Lebensaufgabe eines anderen zu erfüllen, beginnt Catherine Tarleys Erstling „Die Plantage“. Ein Bezug auf diese Legende wäre vielleicht auch der bessere Titel für das 860-Seiten-Werk gewesen – denn die Plantage Legacy ist nur einer von vielen Schauplätzen des Romans, während das Schicksal des Kriegers in der Legende ein Gleichnis für den Handlungsbogen des Romans darstellt und damit treffender die gesamte Story charakterisiert.

Anhand des Titels hätte ich ein Buch erwartet, das das Schicksal von Legacy und seinen Bewohnern über Jahre, vielleicht Jahrzehnte verfolgt. Hier weckt der Titel aus meiner Sicht etwas falsche Erwartungen, denn nur die ersten 200 und die letzten 100 Seiten spielen (größtenteils) auf Legacy, ansonsten werden die Schicksale der Hauptpersonen (an anderen Orten, z. B. London, Madeira) sowie (in Rückblenden) deren bisherige Lebenswege erzählt. Die gesamte Handlung des Romans spielt in einem Zeitraum von ca. 10 Monaten. Das muss ja aber nicht schlecht sein, wenn diese Handlung spannend ist und gut unterhält.Und da werden sich die Geister wahrscheinlich scheiden. Ich könnte mir vorstellen, dass manche das Buch als großartigen Schmöker für lange Winterabende ansehen, andere werden sicherlich so einiges zu kritisieren finden.

Ich habe mich beim Lesen auf jeden Fall gut unterhalten gefühlt und trotz der Fülle des Buches habe ich nur wenige Passagen als langatmig empfunden. Außerdem habe ich viel über die Zeit gelernt, in der der Roman spielt. Allerdings sind mir auch so einige Kleinigkeiten aufgefallen, die mich ein wenig gestört haben.

So gibt es z. B. eine Stelle, in der es um das Auslaufen eines großen Segelschiffs geht. Dort hatte ich den Eindruck, die Autorin möchte unbedingt zeigen, wie gut sie recherchiert hat – der Text strotzt vor Seefahrer-Fachbegriffen, so dass es nur noch schwer verständlich und für den Laien wirklich zu viel des Guten ist.

Grundsätzlich positiv fand ich die Idee, einige besondere Begriffe in einem Anhang zu erklären. Nur waren beispielsweise die nautischen Fachbegriffe nicht dabei. Mitunter wurden ganze Sätze, die die Autorin im Buch gebraucht hat, hinten noch einmal erklärt. Schade war aber, dass die erläuterten Begriffe vorn im Text des Buches nicht kenntlich gemacht wurden. So hat man ab und zu nachgeblättert, ohne eine Erläuterung zu finden, dafür aber bemerkt, dass es 3 Seiten vorher Sätze bzw. historische Fakten gab, die hinten ausführlich erklärt werden. Das fand ich nicht so glücklich, weil man dadurch zum Hin- und Herblättern sowohl im laufenden Text als auch in den Erläuterungen gezwungen war und das den Lesefluss teilweise behindert hat.

Bei der Handlung an sich fand ich weniger die Hauptpersonen Antonia und William interessant als vielmehr ihren Widersacher Captain Reed. Dessen schwere psychische Erkrankung und die damalige Art, mit so etwas umzugehen bzw. der damalige Stand der Wissenschaft zu dieser Thematik sind sehr schön herausgearbeitet und waren für mich zusammen mit der kleinen Kriminalgeschichte um den Mord an einer Prostituierten ein wirkliches Highlight des Buches. Die Story an sich wäre vielleicht auch mit ein paar weniger Nebenhandlungen ausgekommen – z. B. fand ich die Geschichte mit dem Voodoo-Kult zwar glaubhaft, aber für die Story nicht unbedingt notwendig.

Etwas merkwürdig kam mir das Verhältnis von Antonia zu ihrem Halbbruder Joshua vor. Beide haben den gleichen Vater, Joshua ist aber das Ergebnis eines Verhältnisses mit einer schwarzen Sklavin, während Antonia die Tochter aus seiner Ehe mit einer deutschstämmigen Aristokratin ist. Beide wissen, dass sie Geschwister sind und sind im selben Haus miteinander aufgewachsen. Antonia stellt Joshua auch als Verwalter ihrer Plantage ein. Jedoch spricht er sie immer – auch in ganz privaten Momenten – unterwürfig als „Miss Antonia“ an, während sie ihn (wohl entsprechend der damaligen Gepflogenheiten im Umgang mit Sklaven) duzt. Dabei ist Antonia entschieden gegen Sklaverei und hat auf ihrer Plantage alle Sklaven freigelassen… Als Leser macht einem das ein wenig zu schaffen, weil man das Verhältnis der beiden schwer nachvollziehen kann und auch nicht richtig erklärt bekommt, wieso das so ist.

Insgesamt sind es also diese störenden Kleinigkeiten, die das Buch für mich nicht so recht stimmig gemacht haben. Natürlich ist es schwer zu erreichen, dass bei einem so umfangreichen Roman alles passt. Mit Blick auf die Rezension bin ich beim Lesen vielleicht auch ein wenig kritischer herangegangen und habe mehr hinterfragt, als wenn ich das Buch einfach nur so mal weggelesen hätte. Es wird mir sicherlich trotzdem in guter Erinnerung bleiben, denn die anschauliche Schilderung und die für einen Südstaatenroman etwas ungewöhnliche Zeit, in der die Geschichte spielt (eben nicht der Nord-Süd-Konflikt, sondern der Unabhängigkeitskrieg) haben es trotzdem zu einem interessanten Leseerlebnis werden lassen, das zudem historisches Wissen vermittelt hat.