Strukturkrise im Killergewerbe

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Raeseng arbeitet in Seoul als Auftragskiller. Bei seinem aktuellen Auftrag zögert er und wird prompt von seinem Opfer in dessen einfache Hütte eingeladen. Ein Mann sollte seinen Tod in Würde wählen dürfen, davon ist der alte Mann überzeugt. Nachdem Raeseng einmal ins Grübeln gekommen ist, scheint es mit der Routine seines Berufsstandes begab zu gehen. Ein Rückblick zeigt auf, wie Raeseng als Findelkind zu Old Racoon gekommen ist, seinem Pflegevater und Ausbilder. Der Junge hat sich im Dog House, in Racoons Bibliothek, selbst Lesen und Schreiben beigebracht, was Old Racoon anfangs nur schwer glauben kann. Man könnte sich fragen, was Racoon mit einer Bibliothek will; schließlich liest er darin nur das Lexikon. In der Zunft der Morddienstleister („gute Arbeit muss anständig bezahlt werden“) ist Raeseng eine Art Laufbursche, der Pläne anderer ausführt. Das akribisch ausgetüftelte System besteht aus Ermittlern, Dispatchern, Killern, und es nutzt für die spurlose Beseitigung der Leichen das gut getarnte Krematorium von „Baer“. Als Kulisse dient ein Staat im Umbruch, vermutlich im Übergang von einer ehemals autoritären Diktatur zu einer freieren Gesellschaft. Fragt sich nur, was das für eine Gesellschaft ist. Die Kräfte des Marktes schlagen bei den Plottern jedenfalls erbarmungslos zu, die Preise fallen ins Bodenlose. Sollen Menschen wirklich ihre Feinde oder Angehörigen abmurksen lassen dürfen, nur weil sie sich das aufgrund eines Preiskampfes neuerdings leisten können? Auch die Frage, warum das Land noch rückständig ist, taucht im Gespräch auf, und dass man seine Einstellung ändern müsse. Bei den Arbeitskräften sind erste Skrupel zu beobachten, auch ein Nachfolgekonflikt zwischen erfahrenen Alten und ehrgeizigen Jungspunden ist zu ahnen. Über die knochentrockene Art mit dem Tod umzugehen musste ich einfach grinsen. Dass der Buchschnitt aussieht, als hätte daneben jemand gerade ein Huhn geschlachtet, macht danach auch nichts mehr.

Die Struktur von Handwerksbetrieben wirkt in diesem Setting symbolkräftig, ähnlich einem Gleichnis auf einen modernen Industriestaat oder gnadenlose Konkurrenzkämpfe auf globalisierten Märkten. Die zunftartige Organisation der Plotter und ihre Berufsehre könnte es so ähnlich in jeder Kultur und in jeder Epoche geben. Höchst amüsant fand ich den Grundsatz, dass ein Plotter stets unauffällig zu sein hat; nur Unwissenheit wird sein Leben schützen. Diese Weisheit erinnert an die Erfahrung, dass das Wissen, das du deinen Kollege voraus hast, dir nur schaden wird. Zukünftig wirst du diese Tätigkeiten immer erledigen müssen, während die Unwissenden sich zurücklehnen können. Der Grundsatz, nur ja nicht aus der Masse herauszuragen, hat im asiatischen Raum sicher umfassendere Geltung als bei uns in Europa. Die Bibliothek, das Verhältnis zwischen Meister und Schüler, die Nachfolgefrage in einer mafiösen Gruppe, Raesengs Skrupel – der Interpretationsspielraum ist hier erfreulich umfangreich. Raeseng tritt als erstaunlich offene, leicht zynische und dabei nachdenkliche Person auf. Ein Killer, der Katzen hält und sich nicht daran stört, auf einem rosa Fahrrad mit Einkaufskorb herum zu düsen. Stark.

Ein kluges, bissiges, höchst symbolisches Buch, für das das Etikett Thriller m. A. nach zu kurz greift.