Wunderschön - Paulo Coelho eben...

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
marialein Avatar

Von

"Die Schriften von Accra" sind die Aufzeichnungen eines jungen Christen, der am Vortag des Sturms auf seine Heimatstadt Jerusalem im Jahr 1099 die Worte eines weisen Kopten notiert und so für die Nachwelt erhalten möchte. Man weiß nicht, was anschließend mit den Beteiligten geschieht, doch nach einem Jahrtausend werden die Schriften wiedergefunden und gelangen an die Öffentlichkeit.

Das Buch ist als eine Art Frage-Antwort-Spiel gestaltet: Das Publikum stellt dem Weisen Fragen über verschiedene Themen und dieser antwortet darauf. Die Worte des Kopten sind einfach und bildhaft und sprechen daher direkt das Herz an. Man muss kein Gelehrter sein oder einer bestimmten Religion angehören, um ihre Wahrheit zu begreifen. Es geht weniger darum, zu begreifen, als zu fühlen. Wichtiger, als das Wunder des Lebens zu hinterfragen, ist es, sein Leben bewusst und in Liebe und Respekt vor anderen und sich selbst zu leben. Im Hier und Jetzt zu leben ist auch, oder gerade, wenn man in einer so aussichtslosen Situation wie Jerusalem an jenem Abend steckt, das Allerwichtigste. Das zumindest sind für mich die wichtigsten Lehren, die aus den "Schriften von Accra" hervorgehen, auch wenn noch sehr viel mehr Weisheiten darin stecken.

Der Sturm auf Jerusalem liegt nun über 1000 Jahre zurück, aber seine Weisheiten sind noch heute gültig. Vielleicht haben sie heute sogar noch mehr Bedeutung als je zuvor: In einer Zeit, in der sich Menschen bekriegen, nur weil sie unterschiedlichen Glaubensrichtungen angehören, ist es wichtig, dass man sich darauf zurückbesinnt, was eigentlich zählt. Die drei Gottesmänner, die der Versammlung beiwohnen, haben unterschiedliche Namen für ihren Gott und unterschiedliche Arten, ihn zu verehren. Dennoch sind sich alle drei einig, dass die Worte des Kopten in die Welt hinausgetragen werden sollten. Sie erkennen die Weisheit und Wahrheit darin.

Interessant ist aber auch, wie ein jeder die Gleichnisse, die der Kopte verwendet, auf seine eigene Zeit, Lebensweise und Weltanschauungen übertragen kann. Auch, wenn die Schlussfolgerungen noch heute gelten, hat sich unsere Welt seit 1099 doch sehr stark gewandelt. Haben die Aussagen über die Arbeit heute eine andere Bedeutung, da man kaum noch schwere körperliche Arbeit verrichten muss, um zu überleben? Kann man die Äußerungen zum Zusammenleben mit anderen eins zu eins auf eine Zeit übertragen, in der man kaum Gelegenheit hat, sich mit dem eigenen Nachbarn zu befassen? Kann man sich so einfach in Geduld üben, wenn in der heutigen Zeit alles immer schneller geht?

"Die Schriften von Accra" geben ein Menge Antworten, aber sie stellen auch ebenso viele Fragen.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Ich könnte nicht genau sagen, was mir am meisten gefallen hat – der Inhalt, der mich immerfort daran erinnert hat, dass wir unser Leben in der Hand haben und die Welt so gestalten können, wie wir wollen, oder aber der Schreibstil, der auf seine direkte und bildliche Art direkt das Herz anspricht. Deshalb hat es mich, entgegen allen Erwartungen, auch nicht gestört, dass das Buch nur so dünn war. Denn auch in den wenigen Seiten steckt sehr viel Stoff, über den man nachdenken und den man ins eigene Leben übertragen kann.