Fließendes Wasser

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Alex hatte keine leichte Kindheit. Seine Mutter war bei seiner Geburt 48 Jahre alt, und er diente als Ersatz für seine verstorbene Schwester. Deshalb musste er Kleidchen anziehen, mit Puppen spielen und hatte lange Haare, die mit Klammern zurückgehalten wurden. In der Schule führte dies zu Hänseleien, gegen die er sich mit Schlägen wehrte. Deshalb überraschte es niemanden im Dorf, als er als junger Mann die „Dorfmatratze“ Janice ertränkte. Da er vollalkoholisiert war, gab es mildernde Umstände. Nach sechs Jahren Haft wird er nun vorzeitig auf Bewährung entlassen und kehrt in sein Heimatdorf zurück, wo er in sein altes Elternhaus zieht, das ihm vererbt wurde. Die Dorfbewohner sind über seine Rückkehr nicht erfreut, insbesondere nicht Heike, die ein Kaffeebüdchen betreibt und deren Aussage zu seiner Verurteilung geführt hat. Seine Drohung, das werde sie noch bereuen, hat sie nicht vergessen. Nur Silvie hält weiterhin zu ihm, ihr Mann Lothar, der früher ebenfalls mit Alex befreundet war, ist schon etwas skeptischer. Nach und nach kommen Dinge ans Licht, die manche gerne vergessen hätten.

Dies ist wieder ein typisches Petra Hammesfahr-Buch, das mir gut gefallen hat. Im Mittelpunkt steht eine Dorfgemeinschaft, in der jeder jeden zu kennen scheint und miteinander verwandt oder befreundet ist. Dies hat es mir anfangs allerdings ein bisschen schwer gemacht, den Überblick über die Personen und ihre Beziehungen zueinander zu behalten. Mehr als einmal musste ich überlegen, zu welcher Familie die jeweilige Figur gehört und in welchem Verhältnis sie zu anderen steht. Im Nachhinein hätte ich mir besser einen kleinen Stammbaum erstellt, um die Übersicht zu behalten.

Es gibt Geheimnisse, die erst nach und nach ans Licht kommen. Insbesondere die Frage, was in jener Osternacht 2004 tatsächlich geschah, als Janice starb, zieht sich durch das ganze Buch und wird erst am Ende gelöst. Die Spannung wird bereits zu Beginn des Buches aufgebaut, als Franziska Welter, Silvies Oma, ihre Freundin Helene mit ihrem Sohn Alex am Grab ihrer Tochter Alexandra sieht und sie bei diesem Anblick ein Schaudern überläuft. Der Leser wartet gespannt darauf, welches Unheil sich ereignen wird. Diese Frage und die Suche nach der Lösung hält die Spannung während des ganzen Buches auf hohem Niveau - ohne blutige Szenen voller Gewalt. Es ist mir schwer gefallen, das Buch aus der Hand zu legen, weil ich immer wissen wollte, wie es weitergeht. Auch wenn ich bereits frühzeitig geahnt habe, was geschehen ist und warum, war ich doch neugierig, ob ich recht haben würde. Am Ende des Buches bin ich dann aber doch auf eine kleine falsche Fährte hereingefallen und war über den tatsächlichen Ausgang erleichtert.

Die Sprache ist einfach und nicht gekünstelt, so dass sich das Buch leicht und flüssig lesen lässt. Die Charaktere sind lebendig dargestellt, und man kann sich jeweils in ihrer Situation hineinversetzen. Die ein oder andere Person bleibt ein bisschen oberflächlich, aber das stört nicht so sehr. Interessant ist, wie es der Autorin gelingt, beim Leser Mitleid und Sympathie für einen verurteilten Mörder zu wecken, obwohl man ihn eigentlich ablehnen müsste. Das Buch wird aus unterschiedlichen Sichtweisen erzählt (z. B. Franziska, Alex, Heike, Silvie), was es besonders interessant macht, da man als Leser oft einen Wissensvorsprung hat und sich manches zusammenreimen kann, was den einzelnen Figuren noch nicht möglich ist. Gut gefällt mir auch, dass die Erzählung zwischen verschiedenen Zeitebenen wechselt. In die Geschehnisse der Gegenwart, in der Alex nach seiner Haftentlassung wieder in seine Heimat zurückkehrt, sind immer wieder Rückblicke in die Vergangenheit eingestreut. Aus diesen Schilderungen wird nach und nach klar, weshalb die Personen so geworden sind, wie sie sind, und was alles früher geschehen ist. Einen großen Teil nimmt dabei natürlich das Geschehen an Ostern 2004 ein.

Das Cover orientiert sich an anderen Büchern von Petra Hammesfahr und gefällt mir. Das Kind im roten Kleid vor dem dunklen Hintergrund lenkt den Blick auf das Buch und vermittelt bereits ein ungutes Gefühl. Auch der Titel ist gut gewählt. Zu loben ist ebenfalls der Text auf der Rückseite des Buches. Er macht neugierig und gibt einen groben Überblick, um was es in dem Buch geht, ohne zu viel zu verraten.

Alles in allem hat mir „Die Schuldlosen“ sehr gut gefallen, und ich kann es Krimi-Fans weiterempfehlen.