Spannende Mischung aus Historie und Fiktion!

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Die titelgebende „Schule am Meer“ hat wirklich existiert: Auf der Nordseeinsel Juist wird Mitte der 1920iger Jahre von einer engagierten Pädagogengruppe ein reformpädagogisches Landerziehungsheim – eben die „Schule am Meer“ - gegründet. Ein marodes, heruntergekommenes Anwesen wird gekauft, unter Eigenregie bewohnbar gemacht und im Laufe der kommenden Jahre immer wieder erweitert. Die begeisterten Lehrer, Eltern und Gönner finanzieren dies mit Schulgeldern und Spenden. Auch die Schüler*innen tragen durch künstlerische Aktivitäten dazu bei.

In dieser „Freiluftschule“ sollen die Internatschüler*innen inmitten der Natur geprägt von freiheitlichen Gesichtspunkten erzogen werden. Das heißt auch, dass Mädchen und Jungen gemeinsam und mit Mitspracherecht unterrichtet werden. Natürlich gibt es keine Prügelstrafe oder Drill, dafür treten der Zusammenhalt der Gemeinschaft und die Einheit von Körper und Geist ins Zentrum. So beginnt beispielsweise der Tag für die Schüler*innen mit einem Bad in den eiskalten Nordseewellen.

So am Rande des Landes bildet die „Schule am Meer“ fast einen eigenen Kosmos, einen geschützten Raum außerhalb der Zeit. Während die Schule an Gebäuden und Belegschaft wächst, wird sie letztendlich doch irgendwann mit den rasanten politischen Veränderungen und Widernissen konfrontiert.
Bei den Bewohnern der Insel Juist hat die reformpädagogische Schule, in der auch viele Juden, Freidenker und Kommunisten tätig sind, durchaus Gegner, die Stimmung gegen sie machen. Denn wie auch sonst im Land gedeiht auch hier das Gedankengut des Nationalsozialismus.

Die Leser*innen erleben die Geschehnisse aus den Blickwinkeln unterschiedlicher Protagonisten.
Das ist beispielsweise die bodenständige Anni Reiner, die eigentlich aus einer betuchten jüdischen Industriellenfamilie stammt. Mit ihrem Mann Paul gehört sie zur den Gründungslehrern. Sie baut nicht nur tatkräftig die Schule auf, unterrichtet, stemmt die Familie mit den drei Töchtern, sondern steckt alljährlich ihre Dividenden aus dem Vermögen ihrer elterlichen Familie in die Schule. Sie hat so gar nichts mehr von einer „höheren Tochter“, sondern versucht mit ihrem Mann ihren pädagogischen Traum zu leben, auch auf Kosten des Familienlebens und der eigenen Gesundheit.

Mit Eduard Zuckmayer (ja, der Bruder des bekannten Schriftstellers, aber das sagen wir nur leise, sonst nervt es ihn) sehen wir die Schule aus der Sicht eines Dirigenten, der anstelle einer Karriere in der Musikwelt die Position des Musiklehrers wählt. Sowohl Anni Reiner als auch Eduard Zuckmayer sind historische Personen.

Moskito – eigentlich Maximilian – eine fiktive Schülerfigur, wird von seiner deutschstämmigen Familie aus Bolivien nach Juist geschickt. Seine Entwicklung in der Schule über die Jahre bis zum Abitur zu sehen, ist sehr spannend. Gerade dieser Blick aus Sicht eines Schülers ist besonders interessant.

An der Köchin und Hausmutter Kea und „Ziehtochter“ Marje werden einerseits die Verbindungen zur Inselbevölkerung ersichtlich, wie auch die gesellschaftspolitische Entwicklung. Die beiden sind starke Frauengestalten.
So nach und nach lernt man die bunte Schulgemeinschaft kennen, einige Juister Bürger*innen, eingeschworene Gegner, aber auch unerwartete aufrichtige Helfer wie den alten Saathoff.
Wichtiger Mitspieler ist natürlich die Nordsee, rau, unberechenbar und auch gefährlich.

Fazit
Die Autorin Sandra Lüpkes hat einen natürlichen Bezug zum Thema ihres Romans, denn sie stammt von der Nordseeinsel Juist. So können wir davon ausgehen, dass sie die Geschichte der „Schule am Meer“, die dort tatsächlich von 1925-1934 bestand, sehr gut kennt und exakt recherchiert hat.
Sie nimmt Bezug auf die realen Lernmethoden der Reformschule, ihre Geschichte und auch die Gegnerschaft auf der Insel. Lüpkes gelingt es, die Entwicklung der Schule im Jahrzehnt ihres Bestehens zu begleiten.

Geschickt mischt sie historische und fiktive Personen und Handlungen. Wer erwartet, dass sie eingehender auf das Konzept dieser Schule eingeht, wird allerdings enttäuscht. Es bleibt bei ein paar Einzelheiten. Allerdings erhält man Einsicht in den großen Idealismus der Gruppe, dem Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft, das teilweise karge Leben nah an der Natur. Man sieht am Ende, bei welchen Menschen der Idealismus echt und ehrlich ist, und welche lauttönenden Anführer am Ende doch nur ihr Fähnlein in den Wind hängen.

Mir haben die starken Frauengestalten sehr gefallen, allen voran Anni Reiner (bei ihrer Person ist wieder einmal zu sehen, dass die Rolle der Frauen am Ende in der Geschichtsschreibung oft unterschlagen wird). Ich hätte mir gewünscht, dass neben Moskito mindestens noch ein weiterer Schülerblickwinkel dazugekommen wäre. Nicht alle aufgenommenen Fäden werden bis zum Ende weiterverfolgt, sondern bleiben der Fantasie überlassen.

Die Mischung aus historischen Tatsachen und Fiktion fand ich sowohl interessant und anregend, wie auch unterhaltend. Der Schreibstil ist gut und angenehm lesbar. Auch wenn das Buch ein paar Längen enthält, wird der Spannungsbogen gehalten.