Ein fulminantes Finale - aber nicht mein Favorit der Reihe

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
berit.blaubaer Avatar

Von

Eigentlich ist dies keine Rezension allein zu Band 4 - mir fällt es immer schwer, den finalen Teil einer Reihe losgelöst vom gesamten Chanon zu betrachten und im Grunde handelt es sich bei Trilogien, Quadrologien oder sonst irgendwelche.. -logien doch letzten Endes um eine einzige Geschichte.
Meine Reise mit Ophelia begann im letzten Dezember und geendet hat sie gestern Nachmittag. Ein halbes Jahr. Ich mag diese ganzen Harry Potter-Vergleiche nicht. Nicht speziell im Bezug auf diese Reihe, auch allgemein. Nicht nur, weil Harry Potter für mich immer konkurrenzlos bleiben wird, sondern weil ich finde, dass jedes Buch, jede einzelne Geschichte, derart einzigartig ist, dass es jedes Mal ein Äpfel-Birnen-Vergleich ist. Dennoch muss ich sagen, dass ich lange, sehr sehr lange, keine Reihe mehr für mich entdeckt habe, die mich derart mitgerissen hat wie die Saga um die Spiegelreisende.



Literarische Charaktere mit Freund*innen - Potenzial

Ich glaube, noch vor Handlung, Spannungsbögen, Weltkompositionen und vielleicht auch Schreibstil, stehen bei mir die Charaktere, Ich liebe Charakterentwicklungen jeder Art, liebe Facetten und Tiefe. Und vor allem: Viele, viele Charaktere. Vermutlich des immensen Identifikationspotenzials wegen. Ich weiß, dass ein Buch dann für mich gut ist, wenn sich ein oder mehrere seiner Charaktere zu meinen Lieblingen machen (nicht nur innerhalb eines bestimmten Romanes, sondern darüber hinaus) und es sich fast so anfühlt, als hätte man eine*n neue*n Freund*in gefunden, den man fast so gut zu kennen meint wie sich selbst. Christelle Dabos hat mir gleich einen ganzen Haufen dieser Freund*innen geschenkt, so viele habe ich beim Lesen in mein Herz geschlossen: Reineke, Gwanael, Thron - und natürlich Ophelia. Mein Buch-Crush in diesem Fall galt natürlich Archiebald (hach, Archibald!). Ophelia als Protagonistin und als Antiheldin ist (zusammen mit Hermine - OH OH, hier ist sie, die HP-Referenz!) zu einer meiner absoluten Favoritinnen geworden: so herrlich unperfekt; mit diversen charakterlichen Facetten und Eigenarten, die ich auch an mir selbst kenne (speaking of Inspirationspotenzial) und dabei so unfassbar mutig. Ich glaube, ich habe selten eine Charakterentwicklung als derart stark und bedeutend wahrgenommen und diese gleichzeitig für absolut glaubhaft und authentisch gefunden.


Worldbuilding

Ich lese seit fast zwei Jahrzehnten Fantasy. Und oft denke ich, dass ich doch inzwischen so viel gelesen haben müsste, dass alle Ideen ausgeschöpft sein müssten und eigentlich nichs Neues mehr kommen kann, so á la "Man kann das Rad nicht ständig neu erfinden". Abers, was Dabos da aus ihrer Feder hat entstehen lassen, ist derart neu...innovativ...kreativ, dass man einfach nur den imaginiären Hut ziehen möchte: Eine dystopische Welt, die einst von einem zornigen 'Gott' in STücke gebrochen wurde, zu mehreren Archen, mit je ihrer eigenen Bevölkerung, Kultur und fantastischen Gaben. Das (Halb-)götter-Konzept um die Familiengeister, die alle ihren Nachkommen Aspekte ihrer individuellen Kraft vererbt haben: Objekte animieren, den Geist beeinflussen, den Raum verändern - oder durch Spiegel reisen: Man hat es hier mit einer solchen Vielfalt an Fantastik zu tun, dass einem - auch noch bei Band 4 - förmlich die Spucke wegbleibt. In puncto Familiengeister wären wir hier fast schon wieder beim Aspekt "Charaktere" - ich war konstant begierig danach, mehr Informationen über sämtliche der 21 Familiengeister, ihre Archen, ihre Fähigkeiten... High Fantasy vom Feinsten & so was catched mich eigentlich immer sofort.





Das Finale
[Spoiler ahead, Teil 4]

Puh. Es war die logische Konsequenz nach drei derart starken Teilen, dass der vierte und letzte mit einem absolut großartigen Ende aufwarten muss, das seinen Vorgänger-Romanen gerecht wird. So richtig verstanden habe ich meine Eindrücke zu "Im Strum der Echos" noch immer nicht ganz. Vermutlich muss das alles noh ein wenig sacken. "Gemischte Gefühle" trifft es hier wohl ganz gut. Ophelia und Thorn - und damit auch die*der Leser*in versteht nach und nach mehr: Wer ist Gott? Wer ist der Andere? Ist die Welt zu ihrem endgültigen Untergang verdammt? In Teil 3 hat es Ophelia nach Babel geführt und schnell ist klar geworden, dass dieser Ort, allen voran das Observatorium und später dann das Beobachtungsinstitut für Abweichungen, so manche Antworten auf all ihre Fragen birgt. Schon klar, Babel, the place to be. Aber ich hätte mir ein wenig diversere Schauplätze für das Finale gewünscht. Besonders auf Erdenbogen war ich gespannt - und allgemein auf mehr Präsenz von Archibald, Reineke und Gwanael.

Diese gefundenen Antworten allerdings erfolgten auf einer höchst abstrakten, fast schon wissenschaftlichen Ebene, die an vielen Stellen eine Metaebene mit höchst philosophischem Exkurs einnahmen: Das Umgekehrte, Gegenwerte, die Silberluft (deren griechischen? lateinischen?) Begriff ich schon wieder vergessen habe, und nicht zuletzt die Sache mit den Echos. Don't get me wrong: Ich liebe so etwas. Aber irgendwie stand es dann doch etwas im Kontrast zur Auflösung die, wenn auch unerwartet, ein wenig...trivial daherkam. Einfach. Auch hätte ich mir ein paar mehr Antworten gewünscht auf begonnene Handlungstränge, die irgendwie weiter ins Leere gelaufen sind. Auch das eigentliche in Aspekt, den ich beim Lesen schätze: Schwammigkeit, Meta-Zeug, offene Enden und viel Interpretationsspielraum. Aber in diesem Fall kontrastierte dies nach meinem Geschmack ein wenig zu sehr mit der erwähnten Präzision und Wissenschaftlichkeit der gezeichneten Umstände. Und ich glaube, das ist es tatsächlich, worauf ich noch keine Antwort habe: Wir mir genau dieser Gegensatz gefällt. Ob es vielleicht nicht einfach die universelle Unzufriedeheit ist, eine wundervolle Reihe beendet zu haben und dieser damit einhergehende, bittersüße Schmerz, dass nicht noch mehr Geschichten erzählt werden. Vielleicht wünscht man sich letzten Endes sogar diese unbeantworteten Fragen, weil sie Hoffnung daür geben, dass eben noch nicht alles zu Ende erzählt ist?
Das spezifische Ende jedoch, also die letzten 4,5 Seiten habe ich geliebt. Wirklich! Hatte tatsächlich etwas Angst, es würde ein richtig schön-verkitschtes All was well - Ende (HP-Referenz #2) um die Ecke kommen und das wäre der Saga meiner Meinung nach wirklich nicht gerecht geworden. Ich kann mir gut vorstellen, dass eben dieses Ende einigen Leser*innen überhaupt nicht schmecken wird. Und ja, es ist brutal und es ist unbefriedigend. Aber auch hier haben wir ihn wieder: Dieses Fünkchen Hoffnung, dieses schwache Licht am Ende des Tunnels. So oder so, es unterstreicht noch mal die Stärke von Ophelias Charakter. Klingt das komisch? Für mich war's perfekt jedenfalls.
Die zuvor genannte Kritik hat meiner Euphorie wenn nur einen minimalen Dämpfer verpasst, sodass die Wertung verdiente 🐻🐻🐻🐻 - 4,5 /5 Bücherbären lautet.


[(Spoiler Ende]





Der Lieblings-Teil

"Die Verschwundenen vm Mondscheinpalast". Ziemlich unangefochten. Ich liebe den Pol. Das illusstre (und zugegebener Maßen etwas verruckte) Leben im Mondscheinpalast - jede Menge Archibald. Die Miragen, das Gespinst, Faruk... definitv mein Lieblingsschauplatz. Eine rasante, spannungsgeladene Handlung und ein Plottwist,der sich gewaschen hat. Wie gerne würde ich diesen Band wieder zum ersten Mal lesen können!




Das Fazit

Hach, ich könnt' ja fast weinen. Immer, wenn man ein Buch beedet, eine Reihe abschließt, hat man doch das Gefühl, eine*n Freund*in auf unbestimmte Zeit verabschieden zu müssen. Ziept schon fast, dieses schwermütige Gefühl im Bauch, wenn man das beedete Buch zurück ins Bücherregal stellt, nochmals kurz aufseufzt und zärtlich über seinen Buchrücken sreicht (bitte sagt mir, dass nicht nur ich so verrückt bin!)
Es bleibt nicht viel zu sagen. Eine Reihe, die sich in Rekordzeit in mein Herz geschlichen hat und dort einfach nicht mehr wegzudenken ist. Vielen Dank, Christelle Dabos, für all die wunderbaren Lesestunden und dafür, dass ich (uns so viele andere Leser*innen), Ophelia auf ihrer Reise begleiten durften. Es war mir ein inneres Blumenpflücken. Sogar etwas mehr als das.