Die Straße der Geschichtenerzähler

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Farbe und Gestaltung des Covers sind sehr ansprechend und weisen in ihrer Aufmachung und Farbe (Terrakotta) auf den Ort des Geschehens hin: Den Orient. Die Originalausgabe erschien bei Bloomsbury, London (2014) und diese Ausgabe mit der Übersetzung von Ulrike Thiesmeyer 2015 in HC beim Berlin Verlag (Piper).
Die Autorin (*1973 in Karatschi, Pakistan) erhielt bereits zahlreiche Prise und lebt in London und Karatschi.
Der Roman spiegelt eine Zeit politischer Unruhen (April 1930) und umfasst die Jahre 1911 (Beginn der archäologischen Ausgrabungen in Labraunda, heutige Westtürkei) bis 1930; im Prolog und Epilog (515 v. Chr. bzw. 485 v. Chr.) findet sich der Gegenstand, um den sich das archäologische Interesse rankt: Der Stirnreif des Skylax, der diesen von Dareios als Zeichen größten Vertrauens erhalten hat - und als verschollen gilt. Hier beginnt die "Spurensuche" von Tahsin Bey, von Vivian Rose Spencer (der Hauptprotagonistin) und - späterhin - Najeeb Gul, der als Kind Schüler Vivians war.

Inhalt (Buchrücken) : (Auszug)
"Eine junge Engländerin reist 1914 zu Ausgrabungen nach Labraunda und begegnet dort dem Archäologen Tahsin Bey. Vor dem Hintergrund antiker Ausgrabungen und den Wirren des Ersten Weltkrieges entfaltet sich eine vergangene Zeit, eine exotische Welt und vor allem die Geschichte einer großen Liebe."

Meine Meinung:
Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges nimmt Vivian R. Spencer (Viv) an den Ausgrabungen eines türkischen Freundes ihres wohlbegüterten Vaters (Arzt) teil, die in Labraunda stattfindet und verliebt sich in Tahsin Bey. Diese kurze Zeit des Glücks nimmt durch den Ausbruch des Weltkrieges ein jähes Ende und - nach einer vertraulichen Information seitens Tahsin Beys an Viv - kehrt sie nach England zurück, um sich wie viele andere Frauen in Lazaretten dem Leben der Verwundeten zu widmen.In Buch 1 finden sich Beschreibungen des WW I auf den Schlachtfeldern von Ypern und wir erfahren, dass England auch Männer aus den Kolonien (z.B. Indien) für sich kämpfen ließ, die oftmals den sicheren Tod im Schützengraben fanden.
Viv kehrt mit Unterstützung der Mutter ein zweites Mal nach Peschawar zurück und lernt im Zugabteil den verwundeten Quajjum Gul kennen, dessen kluger jüngerer Bruder alsbald von ihr unterrichtet werden wird...
Nach Bildern des Schreckens entrollt sich nun wie ein Teppich die farbenprächtige, exotische Stadt Peschawar, die in ihren Blütendüften und Orientalistik (Straße der ....) sehr gut beschrieben wird - der Leser wird hier mit sehr unterschiedlichen Bildern konfrontiert, die Viv als Skizzen festgehalten hat. Viele etablierte Engländer leben zu dieser Zeit in dieser Stadt, während weniger etablierte und wohlbegüterte Landsleute und auch Männer aus den Kolonien ihr Leben auf den Schlachtfeldern Europas (Ypern/Belgien; Somme/Frankreich) lassen. Während in Peschawar Feste stattfanden und Bälle gegeben wurden, starben andere in derselben Zeit, was mich persönlich sehr betroffen machte.
Die traditionellen Werte der alten Paschtunen werden als sehr viel gerechter beschrieben als diejenigen, die seit dem Eingreifen der Engländer als Kolonialmacht bestanden; hier lernt der Leser viel über die Kultur und Geschichte Pakistans: Ghaffar Khan, ein 25jähriger Mann, der für die Unabhängigkeit, Freiheit und friedliche Revolution steht ohne Einsatz von Waffen, will für Bildung im Lande sorgen und eröffnet Schulen, in denen auch Quajjum mitarbeitet und so seinem Leben wieder Sinn zu geben vermag. Viv hingegen fühlt sich zerrissen zwischen beiden Kulturen ("wie soll ich je zu alldem zurück?") und ließ sich dennoch dazu hinreißen, vertrauliche Informationen an das Kriegsministerium weiterzugeben, was fatale Folgen nach sich zieht....
In Buch 2 erfahren wir Näheres zum Verrat, aber auch vom Stirnreif des Skylax (den es zu finden gilt und der vor 2500 Jahren den Indus hinabsegelte); dieser Aufgabe kann sich Najeeb, der jüngere Bruder Quajjums, inzwischen älter und Museumsangestellter, nicht entziehen und bittet Viv um finanzielle Hilfe für weitere Ausgrabungen...
Viv kehrt abermals zurück und gerät 1930 (April) in politische Unruhen hinein, die drohen, die beiden Brüder (die politisch sehr unterschiedliche Auffassungen besitzen) in größte Gefahr zu bringen. Hier beweist Viv sehr großen Mut und die Geschichte um den legendären Silberreif, aber auch um Viv, Najeeb und Quajjum findet in der "Straße der Geschichtenerzähler" ihr sehr tragisches Ende.

Der Schreibstil der Autorin ist etwas gewöhnungsbedürftig, der Roman sehr anspruchsvoll und keine leichte Lektüre: Ohne Vorkenntnisse des Altertums, der Archäologie und Kenntnissen über die Zeit von Dareios, Alexander des Großen ist es nicht einfach, all dem mit Leichtigkeit zu folgen. Die wörtliche Rede beginnt nicht mit ".....", sondern mit einem - Gedankenstrich, was mir das flüssige Lesen erschwerte; dies empfand ich als ungewohnt und den Lesefluss eher störend. Auch gibt es kein Glossar, was für "Dupatta", "Inquilaab Zindabad" - das viel später erst erklärt wird, hilfreich gewesen wäre, die arabischen Wörter sprachlich einordnen zu können.

Fazit:
Trotz des beschriebenen stilistischen Minuszeichens gab es auch sehr schöne Sätze, der Orient entfaltet sich (Die Ummauerte Stadt war "wie eine Bienenwabe voll bunter Juwelen, wenn man auf sie hinabblickte", S. 349).
Empfehlenswert ist dieser beeindruckende Roman, der die Geschichte Peschawars vor 100 Jahren in der Zeit der englischen Kolonialmacht widerspiegelt, besonders den Lesern, die sich für das Altertum, die Archäologie und für eine sehr gute Geschichte der miteinander verwobenen Kulturen und der kolonialen Macht Englands zu dieser Zeit sowie für Politik und Kulturwissenschaften interessieren: Es ist ansonsten keine einfache Lektüre, jedoch lohnenswert, sie zu lesen und den Vorhang in eine düstere Zeit - trotz der orientalischen Farbenpracht - zeigt, in der unbewaffnete Menschen bei einem Aufstand für Gerechtigkeit und Freiheit ihr Leben ließen.
Ich vergebe 3,5 Sterne und 83° in der Werteskala der "Histo-Couch" und würde bei einer weiteren Auflage stilistische Änderungen (in der wörtlichen Rede) vornehmen, die ein angenehmeres und flüssigeres Lesen ermöglichen würden.