Die Straße derGeschichtenerzähler

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Die Schriftstellerin Kamila Shamsie pendelt zwischen ihrem Geburtsort Karatschi in Pakistan und ihrem zweiten Wohnort in London. Sie entstammt einer Familie, in der das literarische und journalistische Schreiben eine lange Tradition hat. Ihrem Roman "Die Straße der Geschichtenerzähler" merkt man dieses Erbe an. Streng durchkomponiert auf der einen Seite, märchenhaft poetisch auf der anderen Seite stellt sich dieser Roman einem Leser, der Zeit, viel Zeit mitbringt, um einzutauchen in eine Welt, die längst vergangen ist, die aber ans Tageslicht der Gegenwart zu befördern im höchsten Maße lohnt.
Das antike Karien und damit auch die Kultstätte von Labraunda in der heutigen Türkei, im Jahre 515 v. Chr. eine Provinz an der der Westgrenze des Persischen Reiches zieht die junge Vivian Rose Spencer im Sommer des Jahres 1914 in ihren Bann. Als junge Britin aus guten Kreisen sind ihr Freiheiten vergönnt, die Frauen ihrer Zeit nur selten gewährt wurden. Sie verdankt dem Umstand, dass ihr Vater keinen Sohn hat, diesen besonderen Status. Er erlaubt ihr an archäologischen Ausgrabungen, deren Suche letztlich einem sagenumwobenen Silberreif gilt, beizuwohnen. Unter der Obhut des Türken Tahsin Bey, der ein Freund ihres Vaters ist und dem dieser bedingungslos vertraut, hält sie sich in der internationalen Gemeinschaft der Archäologen auf. Vivian Rose Spencer verliebt sich in den um Etliches älteren Tahsin Bey, der ihre Zuneigung erwidert. Aber der Ausbruch des Ersten Weltkriegs kommt dazwischen und löst binnen kurzer Zeit die verschworene Gemeinschaft der Forscher auf und macht sie zu Menschen, die fortan verfeindeten Lagern angehören. Viv kehrt Hals über Kopf nach England zurück und wird zur Krankenschwester, weil nach Meinung ihres Vaters dies der Platz ist, den sie als Frau ausfüllen kann, wenn ihm schon nicht das Verdienst beschieden ist, einen Sohn für die britische Krone in den Kampf schicken zu können. Im Zeichen der Krone macht sich Viv auch schuldig dahingehend, dass sie verrät, dass Tahsin Bey nicht uneingeschränkt die Führung des Osmanischen Reiches gutheißt, sondern mit den unterdrückten Armeniern sympathisiert. Viv hat keine Vorstellung, welche Dimension ihr Verrat hat. Mit Unterstützung ihrer Mutter, die die entsprechenden Arrangements trifft, um die gebotene Schicklichkeit zu wahren, gelingt es ihr England auf ein Neues zu verlassen und nach Peschawar zu reisen. Auf dieser Reise lernt sie den jungen Paschtunen Qayyum Gul kennen, der ein Auge im Kampf verloren hat und dessen Schicksal sich mit ihrem in der Zukunft verweben wird. Der Roman endet im Jahr 1930 und Leser, die die Tradition der Geschichtenerzähler lieben, werden diesen Roman lieben und ihn sorgsam zuende lesen, wieder zurückblättern, besonders poetische Stellen noch einmal lesen und sich an der Sprachgewalt der Autorin erfreuen und bereits sehr früh ahnen, dass es keinen versöhnlichen Schluss geben wird.