Eine andere Welt

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ilonar. Avatar

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Ein Buch, das im Klappentext sehr neugierig macht. Aber – kann es halten, was es verspricht?
Nicht immer, denn am Anfang ist die Lektüre eine Herausforderung. Namen vom Menschen, in der Gegenwart und noch mehr in der Vergangenheit, sind sehr ungewohnt und somit ungewollte Stolpersteine. Für die Namen der historischen Orte gilt gleiches und das Einordnen in die heutige Geographie ist schwierig. Erst im Nachhinein haben sich manche Zusammenhänge erschlossen, als ich dann gezielt noch einmal recherchiert und nachgelesen habe.
Vivian Rose Spencer, eine junge Engländerin, wurde von Tahsin Bey, einem Freund ihres Vaters, zur Teilnahme an einer archäologischen Grabung in Karien eingeladen. Dort gräbt man das Heiligtum von Labraunda, einen alten Zeustempel, aus. Vivian ist begeistert, an dieser Grabung teilnehmen zu dürfen. Allerdings hat man als Leser das Gefühl, ihre Begeisterung gilt noch mehr Tahsin Bey als Mensch und als Mann und man stellt sich auf eine abenteuerliche Liebesgeschichte in der Folge ein.

Der erste Weltkrieg aber verändert alles, Vivian kehrt zurück nach England, arbeitet pflichtschuldig als Krankenschwester und entschließt sich zur Rückkehr in die Welt der Archäologie. Ihr Ziel ist Peschawar in Pakistan und ihr Ziel heißt heimlich auch Tahsin Bey. In Peschawar will sie etwas finden das Tahsin Bey schon seit langem sucht …
Die Stadt steht zu dieser Zeit unter der Herrschaft der Briten und Vivian begegnet unterwegs Qayyum Gul, einem jungen Paschtunen aus Peschawar, der in der Schlacht von Ypern auf Seiten der Briten gekämpft und ein Auge verloren hat.
Mit diesem jungen Mann hatte die Autorin zuvor einen zweiten Erzählstrang eröffnet, der einen zunächst von den bis dahin bekannten Figuren und Themen wegführte. Jetzt, in dieser Begegnung der beiden Personen, lässt sich ein späterer Zusammenhang leise erahnen, aber bis dahin sollen weitere 15 Jahre ins Land gehen.
Bei ihrer Rückkehr lernt Vivian den jungen Najeeb kennen. Najeeb ist ein sehr wissbegieriges und neugieriges Kind, dass alle Möglichkeiten des Lernens begeistert nutzt und das Wissen und die Bildung, die Vivian ihm bieten kann, aufsaugt wie ein Schwamm. Vielerlei Konventionen erzwingen ein Ende ihrer Zusammenkünfte und Vivian kehrt schließlich nach England zurück. Im Jahr 1930 reist sie ein weiteres Mal nach Peschawar, um zu erfahren, was aus ihrem damaligen Schüler Najeeb geworden ist. Vivian kommt zurück in einer Zeit, als die Paschtunen beginnen, gegen die britische Herrschaft aufzubegehren. Dieser Widerstand ist geprägt von absoluter Gewaltfreiheit wie sie von Ghandi in Indien vorgelebt und propagiert wird. Und Qayyum ist einer der führenden Köpfe dieser Bewegung.
Dieser Teil des Buches hat mich dann nicht nur mit dem bisher Gelesenen versöhnt, sondern geradezu in seinen Bann gezogen. Die Stadt und die Ereignisse einer Nacht grausamster Auseinandersetzungen mit vielen Todesopfern auf Seiten der Paschtunen wird so lebendig erzählt, dass man fast das Gefühl hat, dies alles selbst als Beobachter zu erleben. Und erst jetzt offenbaren sich die Verbindungen zwischen den Personen vollständig und die Spannung reißt keinen Moment ab. Dies verstärkt die Autorin durch ihre Art zu erzählen und mich hat begeistert, dass einem die gleichen Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven mehrfach erzählt wurden. Der Effekt daraus war eher ein Anstieg der Spannung und obwohl ich wusste, dass bestimmte Personen überlebt hatten, ich ein weiteres Mal der Lösung entgegen fieberte.

Aus der Rückschau betrachtet ein tolles Buch, bei dem ich mir allerdings Kartenmaterial auf den Vorsatzblättern ebenso gewünscht hätte wie ein paar Stichworte im Anhang zu den historischen Ereignissen und Begebenheiten.