Ein ganz besonderer Roman

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Zuerst war ich skeptisch: Gwen ist 19, hat gerade eine lebensrettende Herztransplantation hinter sich und ist zutiefst unglücklich. Sie will das Herz gar nicht haben, fühlt sich dem nun auf ihr lastenden Druck nicht gewachsen und will am liebsten sofort sterben, um es wieder loszuwerden. Dies zu lesen, hat mich zuerst ein wenig empört. Ich habe mir sofort gedacht "Du kannst doch nicht diese zweite Chance wegwerfen, jemand hat dir das Organ eines geliebten und nun toten Menschen vermacht und du willst nur noch sterben und diese Chance wegwerfen?!". Deswegen war ich unsicher, ob ich mit Gwen und ihren für mich zunächst unvorstellbaren Gedanken warm werden würde. Ich bin sehr(!) froh, dass ich dieses Buch dennoch gelesen habe, denn es hat mich sehr tief berührt und ich kann nun zumindest ein kleines bisschen verstehen, was in Transplantationspatienten vor sich geht.

Gwen wohnt in Berlin und schreibt seit ihrer Kenntnis über ihre Krankheit in einem Forum für junge Herzkranke mit Gleichgesinnten über ihre Ängste. In einem ähnlichen Forum bietet sie deswegen auch ihr Herz als "zu verschenken" an. Sie ist fest entschlossen, Selbstmord zu begehen und ihr Herz dabei an einen Patienten weiterzugeben, der mehr mit dem Leben anzufangen weiß als sie. Noah, der Administrator des Forums, stößt auf ihr Angebot und hält es zunächst für einen schlechten Scherz. Doch als Gwen plötzlich vor der Tür seiner Münchner Wohnung steht, wird Noah klar, dass er alles tun muss, um Gwen umzustimmen.

Von diesem Moment an begleitet der Leser Gwen und Noah. Nicht nur Gwens Weg ins Leben zurück ist dabei einfühlsam, detailliert und unfassbar emotional beschrieben. Auch Noah trägt einige Geheimnisse mit sich herum und nutzt die Zeit mit Gwen, um sich selbst über seine Zukunft klarer zu werden. Es geht in diesem Roman um Liebe und Freundschaft, Loyalität, Familie, Träume und Ängste im Bezug auf die berufliche Zukunft und natürlich um den Tod, Herzkrankheiten und Organspenden. Gerade die letzten beiden Themen waren für mich neu, denn ich musste mich bisher nie damit auseinandersetzen. Lily Oliver hat es allerdings geschafft, mir einen sehr detaillierten Einblick zu verschaffen, der mir unter die Haut ging. Ich habe selten ein Buch gelesen, welches mich so sehr emotional berührt hat. Dabei möchte ich auch ganz klar betonen, dass die Autorin hier keinerlei Belehrungsversuche oder Ähnliches startet. Sie erzählt einfach nur, was sie mit Hilfe vieler Gespräche und Recherchen erfahren hat, und das in einem ganz wunderbaren und behutsamen, aber durchdringenden Schreibstil. Ihre Worte regen zum Nachdenken an und diese Wirkung wird bei mir wahrscheinlich auch noch einige Zeit anhalten. Die Tage, die ich dir verspreche ist ein Roman, der noch lange Zeit im Gedächtnis bleibt und den Leser zwingt über sehr wichtige Dinge nachzudenken.

Gwen und Noah habe ich beide übrigens sehr gerne gemocht. Als Leser lernt man sie sehr gut kennen und besonders mit Gwen würde ich mich sofort treffen, wenn das gehen würde. Sie sind beide interessante Persönlichkeiten und ich fand es total spannend, ihren gemeinsamen Weg zu begleiten. Ihre Beziehung wird über die Tage hinweg, die Gwen bei Noah wohnt, sehr realistisch dargestellt und ich habe jedes Mal mitgefiebert, wenn sie sich gegenseitig Einblicke in ihre Gefühlswelt gestatteten.

Vielleicht konnte ich mich auch so gut in die Welt der beiden hineinversetzen, weil die Kapitel mal aus Gwens und mal aus Noahs Sicht erzählt werden. Das wechselt immer mal wieder und war in meinen Augen sehr passend. Außerdem steht am Anfang jedes Kapitels ein kurzer Auszug aus den beiden Herzforen, in denen Gwen und Noah sich herumtreiben. Meist sind die Posts schon einige Monate alt, passen aber hervorragend zu den in den jeweils darauf folgenden Kapiteln behandelten Themen.

Fazit:
Dieser Roman ist für mich ein Highlight! Nicht nur ein Jahreshighlight, sondern wahrscheinlich eines der wertvollsten Bücher, die ich jemals gelesen habe. Lily Oliver hat mich sehr tief berührt und Gwens Geschichte wird mir noch lange im Kopf bleiben. Besonders gefallen hat mir dabei der wunderbar einfühlsame Schreibstil und die realistische Entwicklung von Charakteren und Beziehungen. Außerdem spricht der Roman ein sehr wichtiges Thema an und kommt dabei ganz ohne Belehrungen aus. Eine riesige Empfehlung und 5 dicke Sterne von mir! (Wichtig fand ich übrigens auch das Nachwort der Autorin, unbedingt lesen!)