Einsam und allein

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

 

In seinem Roman “Die ungeheuerliche Einsamkeit des Maxwell Sim” erzählt Jonathan Coe die Geschichte eines Mannes, der seit sechs Monaten schwer depressiv ist, seit seine Frau Caroline ihn nach 15 Jahren Ehe verlassen und die gemeinsame Tochter Lucy mitgenommen hat. Maxwell Sim war die ganze Zeit arbeitsunfähig und muss sich nun entscheiden, ob er seine Stelle in der Reklamationsabteilung eines Kaufhauses wieder antritt. Zu Beginn des Romans kehrt er aus Australien zurück, wo er seinen Vater besucht hat. Zu seinem Vater hatte er nie ein enges Verhältnis, die Mutter ist vor langer Zeit gestorben. Maxwell Sim hat nur einen Freund, Trevor Paige, der ihm nun einen Job anbietet. Für einen Hersteller von umweltfreundlichen Zahnbürsten soll er im Rahmen einer Werbekampagne als einer von vier Fahrern mit einem Firmenwagen an eins der vier Enden des Vereinigten Königreichs fahren, nämlich zu den Shetland-Inseln. Er sagt zu.

Dieser Auftrag entwickelt sich nicht nur zu einer Reise im Sinne einer räumlichen Veränderung, sondern es wird für ihn auch eine Reise zu sich selbst. An den verschiedenen Stationen auf dem Weg nach Norden wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Er trifft Frau und Tochter, die Eltern seines ehemals besten Freundes und seiner Jugendfreundin Alyson, mit der er fast eine Beziehung gehabt hätte. Er steht sich immer selbst im Wege, und seine Erinnerungen zeigen, dass sein Leben eine Serie von verpassten Gelegenheiten, Missverständnissen und Katastrophen ist. Durch seine neue Bekannte Poppy lernt er deren Onkel Clive kennen, der ihn mit der tragischen Lebensgeschichte des Amateurseglers Donald Crowhurst bekannt macht. Crowhurst hatte 1968 mit unzureichender Ausrüstung eine Weltumseglung versucht, dann, als sein Scheitern absehbar war, einen Betrug geplant, und sein Leben endete schließlich in Wahnsinn und Selbstmord. Maxwell Sim identifiziert sich immer stärker mit Crowhurst, und Crowhursts Schicksal wird zur Metapher für den Protagonisten selbst.

Maxwell Sim und Donald Crowhurst sind nicht die einzigen, die unter ihrer Einsamkeit leiden. Coe zeigt, dass die Menschen trotz der vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten durch die modernen Medien immer mehr vereinsamen. Wir werden von Tausenden von Satelliten beobachtet und können doch in vollkommener Isolation leben. Dazu trägt die Anonymität von Restaurant- und Hotelketten ebenso bei wie Facebook und andere Internetkontakte, die reale Freundschaften zunehmend ersetzen. Für Maxwell Sim führt dies zu der grotesken Situation, dass er seinem Navi den Namen Emma gibt, mit ihr spricht und sich ihr sehr nah fühlt. Coe kritisiert zu Vereinsamung führende Auswüchse des Lebens im 21. Jahrhundert, spricht aber auch noch eine Reihe anderer Themen an, wie zum Beispiel Umweltschutz und Finanzkrise.

Nicht zuletzt ist sein Roman mit seinen vielen eingeschobenen Geschichten aber auch ein Roman über den Schreibprozess selbst. Coe thematisiert das Schreiben in den zahlreichen Interventionen eines Autors, der sich direkt an den Leser wendet, den literarischen Ambitionen von Ex-Ehefrau Caroline und von Maxwells Vater, der sein Leben lang Gedichte schreibt und seinem Sohn einen Brief zugänglich macht, der die Schwierigkeiten in ihrem Verhältnis erklärt, in den Logbüchern des gescheiterten Seglers und der Biographie über sein Leben, in dem während des Studiums von Jugendfreundin Alyson geschriebenen Essay über einen Vorfall aus ihrer Teenagerzeit und schließlich in dem eigenartigen Schluss, der die Romanillusion zerstört. Charakteristischerweise sind es einige dieser Texte, in denen Maxwell Sim die Wahrheit über seine Vergangenheit erfährt und sich einigen für ihn sehr schmerzhaften Tatsachen stellen muss.

Der Roman ist nicht immer leicht zu lesen, hat durchaus einige Längen. Man hat den Eindruck, der Autor will zu vieles, verzettelt sich, glaubt trotz seiner Erfolge - Die ungeheuerliche Einsamkeit ... ist schließlich sein neunter Roman - anscheinend selbst nicht so recht, dass das Schreiben von Romanen eine seriöse Tätigkeit ist. Trotzdem habe ich das Buch gern und mit großem Interesse gelesen, nicht zuletzt auch wegen einiger köstlicher Passagen von absurder Komik wie zum Beispiel seinen Dialogen mit Navi Emma oder dem endlosen Monolog über das öde Kaff Watford und sein eigenes verkorkstes Leben, mit dem er Charles Hayward, seinen Sitznachbarn im Flugzeug, buchstäblich zu Tode langweilt.