Auftakt zu einer süchtigmachenden neuen Fantasywelt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
kleinfriedelchen Avatar

Von

"Durch Spiegel zu gehen heißt indessen, sich selbst gegenüberzutreten. Es braucht Mumm, weißt du, dir selbst in die Äuglein zu gucken, dich so zu sehen, wie du bist, in dein eigenes Spiegelbild einzutauchen. Diejenigen, die ihr wahres Gesicht verbergen, die sich selbst belügen, sich für besser halten, als sie sind, wären dazu niemals imstande. Daher glaub mir, so was findet man nicht alle Tage!" (S. 87)

Seit die Welt zerbrochen ist, leben die Menschen auf schwebenden Archen. Auf der Arche Anima führt die junge Ophelia als Museumsleiterin und "Leserin" von Gegenständen ein ruhiges Leben, bis sie erfährt, dass sie einen Adligen der eisigen Arche Pol heiraten soll. Ophelia ist alles andere als begeistert von der Vorstellung, auf eine fremde Arche zu ziehen und einen ihr ebenso fremden Mann zu heiraten. Und sie muss schon bald feststellen, dass es nicht nur ihr so geht, denn auch ihr Verlobter Thorn scheint über die Verbindung nicht glücklich zu sein. Erst auf der Arche Pol soll Ophelia feststellen, in welche undurchsichtigen Machenschaften sie durch diese Verlobung wirklich verstrickt wurde...

Was für ein Debüt, was für ein Buchschatz, was für eine außergewöhnliche Geschichte! Christelle Dabos Erstlingswerk hat seinen Bestseller-Status in meinen Augen ganz zurecht verdient und findet hoffentlich auch in Deutschland eine glühende Anhängerschaft, denn ich habe schon lange keine so einfallsreiche und ungewöhnliche Fantasygeschichte mehr gelesen. Für alle erwachsen gewordenen Harry Potter-Fans, die nach etwas ebenso Faszinierendem suchen: hier ist eure Antwort!

Die Welt, die Christelle Dabos hier erschaffen hat, ist wirklich einzigartig und lässt sich von der Kreativität und dem Einfallsreichtum her durchaus mit dem Harry Potter-Universum vergleichen. Allein schon der Aufbau: um einen letzten Rest Erdkern schweben die Bruchstücke der einstigen Erde frei herum. Auf den größeren Stücken, sogenannten Archen, haben sich Clans gebildet, die von einem Familiengeist (quasi lebende Gottheiten) geleitet werden und teilweise über magische Kräfte verfügen. So können manche wie Ophelia die Geschichte von Gegenständen enthüllen, andere können mächtige Illusionen erschaffen oder mittels ihrer Gedanken körperliche Verletzungen hervorrufen, wie der Clan ihres Verlobten Thorn. Daneben gibt es noch Sanduhren als Zahlungsmittel, Brillen, deren Gläser sich je nach Stimmungslage des Trägers verfärben und und und...

Über die Handlung will ich euch gar nicht zu viel vorwegnehmen, taucht am besten einfach ganz unvoreingenommen in Ophelias faszinierende Geschichte ein. Nur so viel: unwillig, aber durch ihre Pflicht gebunden, folgt Ophelia ihrem Verlobten zur Arche Pol und wird dort verwickelt in ein Spiel aus Macht, Täuschung und Intrigen. Die Arche Pol erweist sich schnell als Haifischbecken, in dem die junge Museumsleiterin mehr als fehl am Platz wirkt.

Eine Geschichte steht und fällt mit ihren Charakteren, und hier ist Christelle Dabos ein Geniestreich gelungen, denn ich liiiiebe Ophelia! Sie ist ein wunderbarer Charakter, so anders als die üblichen Buchheldinnen. Äußerlich und auch von ihrer Persönlichkeit her wirkt sie mit ihrer geringen Größe, den zerzausten Locken und der dicken Brille eher unscheinbar und wird dank ihrer leisen Stimme und zurückhaltenden Art oft unterschätzt. Doch Ophelia hat eine innere Stärke, mit der niemand rechnet. Und dazu hat sie noch echt coole Fähigkeiten! Sie kann durch Spiegel von einem Ort zum anderen reisen (oder auch nur vorsichtig ihr Ohr zum Lauschen hindurchstecken) und mit ihren Händen in die Vergangenheit von Gegenständen eintauchen und so auch die Geschichten ihrer Besitzer erfahren.

Als ihr Gegenpart fungiert ihr Verlobter Thorn, der nicht gerade glücklich über ihre Verbindung zu sein scheint. Er hat eine abweisende, ruppige Art, ist sehr verschlossen und stets beschäftigt, scheint dazu noch keinerlei Interesse an seiner Verlobten zu haben und überlässt Ophelia lieber der Obhut seiner undurchschaubaren Tante Berenilde. Thorn ist ein mysteriöser, undurchsichtiger Charakter, den näher kennenzulernen ich schon sehr gespannt bin.

"Die Verlobten des Winters" ist der Auftakt zu einer mehrbändigen Reihe, weshalb es etwas dauert, bis die Handlung richtig Fahrt aufnimmt. Christelle Dabos lässt sich Zeit, uns in Ophelias fulminante Welt einzuführen. Und auch beim Kennenlernen der diversen Charaktere habe ich das Gefühl, dass wir gerade einmal an deren Oberfläche gekratzt haben, denn sie sind - von den kleinsten Nebencharakteren bis zum Hauptprotagonisten - unheimlich vielschichtig und interessant gestaltet. Glücklicherweise wird die Geschichte bereits im Juli fortgesetzt, denn auch wenn die Handlung anfangs etwas bedächtig abläuft, überschlagen sich am Ende die Ereignisse und ich MUSS wissen, wie es weitergeht!

Mein Fazit: Ich bin begeistert und überwältigt von dieser faszinierenden Fantasygeschichte! Hier sprüht der Einfallsreichtum von jeder Seite und mit Ophelia hat Christelle Dabos eine einzigartige, unvergessliche Protagonistin erschaffen. Ich werde auf jeden Fall sobald wie möglich wieder in die Welt der Spiegelreisenden eintauchen, um weiter die Geheimnisse des Pols und seiner Einwohner zu ergründen. Folgt mir auf diese Reise, ich verspreche euch, es lohnt sich!