Eine Welt voller Illusionen und Intrigen

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marialein Avatar

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Heldin des Romans „Die Verlobten des Winters“ ist die tollpatschige Ophelia, die mit ihrem alten eigenwilligen Schal, ihrer unattraktiven Brille und eigenbrötlerischen Art erst einmal sehr unscheinbar wirkt. In Wahrheit besitzt sie aber einen sehr starken Charakter, beeindruckenden Mut, und zwei ganz besondere Fähigkeiten, die sie von ihrer wesentlich auffälligeren Verwandtschaft auf Anima unterscheiden: Zum einen kann sie von einem Spiegel zum anderen gehen, zum anderen ist sie eine begnadete Leserin, d. h. sie kann die Geschichte von Gegenständen sowie die Emotionen seiner jeweiligen Besitzer erspüren, wenn sie es mit bloßen Händen berührt.

Opehlia lebt auf Anima, einer der vielen Archen, die von der „alten Welt“, also der ursprünglichen Erde, übriggeblieben sind. Dort führt sie das Familienmuseum und lebt ansonsten recht zurückgezogen und bescheiden. Heiratsanträge ihrer Vettern – sämtliche Bewohner von Anima sind miteinander verwandt – weist sie allesamt zurück, bis sie schließlich keine Wahl mehr hat - sie wird zur Heirat gezwungen, aber nicht mit irgendjemandem, sondern mit Monsieur Thorn vom Pol, einer weit entfernten Arche, von deren Bewohnern man sich die schlimmsten Dinge erzählt. Verweigert sie diese Heirat, würde sie von ihrer gesamten Familie verstoßen.

Tapfer fügt sie sich in ihr Schicksal und reist mit ihrem Verlobten - einem klapperdürren Hünen ohne jegliche soziale Kompetenz - zum Pol, um ihr neues Leben zu beginnen. Begleitet wird sie von ihrer Patentante Roseline, die bis zur Hochzeit als Ophelias Anstandsdame fungieren soll. Nicht, dass sie einen warmherzigen Empfang erwartet hätten – doch auf die Verhältnisse auf dem Landsitz von Thorns Tante Berenilde, wo sie zunächst unterkommen, waren sie bei weitem nicht vorbereitet. Ophelia begreift schnell, dass den beiden vieles verheimlicht wird und versucht, selbst dahinter zu kommen. Als sie ihre neue Heimat aber auf eigene Faust erkunden will und erwischt wird, wird sie schließlich eingesperrt und permanent von Tante Berenilde bestraft.

Als die Familie schließlich an den Hof des Pols, in den Mondscheinpalast, umsiedeln muss, wo Ophelia sich als stummer Page ausgibt, ist die Groteske perfekt. Die Räumlichkeiten sind nicht nur von optischen Illusionen überzogen, die den Betrachter in die Irre führen, sondern der Raum selbst völlig unzuverlässig und rätselhaft. Gleichzeitig drohen Gefahren von allen Seiten. Ophelia muss ständig auf der Hut sein, bei der kleinsten Unaufmerksamkeit könnte sie sich verraten und sich und ihre Angehörigen in Gefahr bringen.

Eine fantastische Geschichte voller überraschender Wendungen, Geheimnissen und Magie, zu der man aber als Leser sehr gut Zugang findet. Das ist nicht nur der Erzählweise zu verdanken, sondern auch den sehr überzeugenden, liebens- und hassenswerten Charakteren, wie natürlich der bemerkenswerten Opehlia, Tante Roseline, Mutter Hildegard, Gwenael… Aber der Roman kennt kein Schwarz und Weiß, selbst die anfangs unsympathischsten Charaktere wie Thorn oder der Botschafter Archibald haben ihre positiven Seiten. Diese Figuren in Verbindung mit den großen und kleinen Zauberwerken, die in dem Roman stets präsent sind, schaffen eine Welt, die den Leser von Anfang an packt und große Lust auf die nächsten Teile der Spiegelreisenden-Saga macht. Auch verfilmt kann ich mir Ophelias Abenteuer sehr gut vorstellen.