Beklemmend tabulos

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Nach dem Erzählband „Marzahn, mon amour“, den ich über einige Zeit zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zählte, waren meine persönlichen Erwartungen an Katja Oskamps „Die vorletzte Frau“ sehr hoch. Der autobiographisch geprägte Roman erzählt von der – phasenweise toxisch anmutenden – Liebe zu einem erfolgreichen, deutlich älteren Schriftsteller, die an oder nach seiner schweren Erkrankung zerbricht. Zunächst war ich fasziniert von der Protagonistin, von ihrem Leben, ihrem Mut zur Unabhängigkeit. Doch im Verlauf war ich zunächst gelangweilt, dann angenervt und von der Protagonistin immer mehr distanziert. Warum man mit allen Tabus brechen und absolute Intimitäten der Öffentlichkeit preisgeben muss, ist mir unbegreiflich. Mit wenigen Klicks im Internet ist der Geliebte Tosch real, hat einen Namen und lebt. Mit Potenz- und Inkontinenzproblemen. Auch wenn er der Veröffentlichung zugestimmt haben sollte, bleibt bei mir die Frage: Muss das denn sein?
Die Protagonistin interpretiert die Welt gerne, wie sie ihr gefällt. Wenn meine Tochter alleine zum Abiball gehen würde, würde ich mich nicht mit ihrer Erklärung zufriedengeben, dass sie das Geld, das andere Mütter für Festgarderobe ausgeben, lieber in die Ausstattung einer Pilgerreise investiert. Vor allem, wenn ich kein Geld für Festgarderobe ausgeben, sondern nur in den Schrank greifen müsste, weil ich meinen Partner jahrelang zu hochrangigen VIP-Events begleitet habe. Die Launen ihrer Fußpflege-Chefin, die wahrscheinlich einfach nur ihren Laden auf Laufen halten muss und verlässliche Mitarbeiterinnen braucht, sind schwer erträglich. Ihre Beziehungsnachfolgerin, Toschs mutmaßlich letzte Frau, wird von ihr schnell in die Schublade gesteckt. Für mich ist es allerdings die gleiche Schublade, in die ihre Vorgängerin, Toschs vorvorletzte Frau, sie selbst gesteckt haben dürfte. Auf ihr Wehklagen, dass sie zum zweiten Mail eine ökonomisch abhänge Frau eines berühmten vielbeschäftigten Mannes ist, kontert der berühmte, vielbeschäftigte Mann, dass er keine Lust hat, sich zum zweiten Mal von einer Frau dafür beschimpfen zu lassen, dass er ihr Leben finanziert. Da bin ich ganz bei ihm.

Die Autorin von „Marzahn, mon amour“ hätte ich gerne mal kennengelernt, die Autorin von „Die vorletzte Frau“ ganz sicher nicht.