Wohin schlägt das Pendel aus?

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zebra Avatar

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An sich ist eine Empfehlung Neil Gaimans genug, mich in milde Ekstase ob eines Buches zu versetzen. Doch nach der Lektüre bedarf es einer Sortierung der Gefühlslage, ob das Buch eher Richtung Genie oder Wahnsinn tendiert. Der Versuch eines systematischen Vorgehens:

Handlung bzw. Idee gehen davon aus, dass durch die in ihnen lebenden Wesen, die Geschehnisse dort usw. Städte lebendig werden und einen sie verkörpernden Avatar haben. Es gibt aber eine nennen wir es Wesenheit, die das nicht will – so im Falle New Yorks: Stadt und Avatar sind durch Kämpfe geschwächt, kurzfristig bestimmte Wächter (für die Stadtbezirke) können New York und seinen Avatar retten. Dazu müssen sie aber schnell sein und, entscheidender, zusammenarbeiten – bei so unterschiedlichen Wächtern ein schwieriges Unterfangen. Klar dürfte hier schon sein: Wer menschliche Protagonistin braucht, um sich mit einer Lektüre wohlzufühlen, ist hier fehl am Platze. Ebenso ist fehl am Platze, wer eine fein ziselierte Handlung erwartet, es geht eher comichaft zu, in weiten Teilen wurden Assoziationen an „Sin City“ geweckt.

Auch an ihre Charaktere geht Jemisin nicht gerade differenziert heran. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass eine Gruppe farbiger Charaktere gegen weiße Mächte des Bösen kämpft. Dabei bedient sie sich „typischer Eigenschaften“ der New Yorker (Bezirke). Insofern spielt auch der Rassenbegriff eine große Rolle in der Geschichte, etwas das Europäer vielleicht nicht so gut nachvollziehen können wie Amerikaner, die mit dem Thema leben bzw. mit Ressentiments zu kämpfen haben. Allerdings war hier schon manches sehr klischeebehaftet, mir damit zu simpel (aber vielleicht ist es ja tatsächlich so simpel, dann ist es aber frustrierend), und taugt damit zu berechtigter Rassismuskritik bedingt.

Nächster Punkt wäre die Sprache bzw. der Schreibstil: Auch die Sprache war nicht gerade filigran, angefangen damit, dass sie wenig abwechslungsreich war und mehr als einmal richtiges „Gossengefühl“ aufkommen ließ. Auch hier hätte mir ein dosierteres Vorgehen mehr gelegen.

Beim letzten Punkt fällt schon seine Bezeichnung schwer, nennen wir es „Lesegefühl“. Es gibt zahlreiche wenig subtile Anspielungen auf Lovecraft: Wenn man sich mit dem nicht auskennt, fehlt ein guter Teil Verständnis. Ähnlich ist es mit den Anspielungen zu New York, die wohl (nur) Kenner bzw. Liebhaber der Stadt vollständig verstehen. Man sollte also gewisse Voraussetzungen mitbringen, um an der Lektüre Freude zu haben. Vielleicht liegt es daran, dass ich mindestens zwei der Voraussetzungen (Kenner von Lovecraft und New York) nicht mitbringe, sodass manches wohl an mir vorbeilief. Zudem war mir manches einfach zu sehr „Methode Holzhammer“. Andererseits bewundere ich Jemisins Fähigkeit, bei dieser eigensinnigen Geschichte den Faden nicht verloren zu haben. Das mit dem Eigensinn ist übrigens wörtlich zu verstehen: Es hat alles seinen eigenen Sinn und man muss sich auf den Kosmos, den Jemisin hier eröffnet, einlassen, sonst wird man das Buch wohl schnell in die Ecke werfen.

Fazit: Auch nach dieser Sortierung bin ich unschlüssig, wohin das Pendel ausschlägt, sodass ich leicht ratlose 3 Sterne vergebe. Vermutlich ist dies eines der Bücher, die ich mit Abstand erneut in die Hand nehme und dann restlos begeistert bin …