Das Schicksal bestimmt das Leben, nicht die Weisheit. - Cicero

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miro76 Avatar

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Josef Formanek hat sich selbst in dieses Buch geschrieben. Der ehemalige Journalist, der sich vor seiner Trunksucht versteckt und nicht mehr schreiben kann, trägt seinen Namen und Teile seiner Biografie.

Zu nächtlicher Stunde sieht er einen Mann auf einer Müllkippe und ist fasziniert. Also sucht er ihn auf und lässt sich von ihm seine Lebensgeschichte erzählen. Als Gegenleistung soll er eine Frau finden: Sophie Rubinstein. Zumindest war das ihr Mädchenname.

Bernhard Mares ist der Mann auf der Müllkippe. Er ist 84 blickt auf ein Leben zurück, das in alle Richtungen ausgeschlagen hatte. Er war ein Findelkind; ausgesetzt an einer Wiener Kirche. Eine Weile durfte er eine Mutter haben, der er leider weggenommen wurde, um in einem tschechischen Waisenhaus aufzuwachsen. Kein leichtes Leben, schon in sehr jungen Jahren.

Aus dem Waisenhaus entlassen, verlässt er auch die Tschechei, um in Österreich eine Bäckerlehre zu absolvieren. Dort prophezeit ihm eine alte Frau, dass er dort sterben würde, wo er geboren wurde, und dass ihm die Uniform kein Glück bringen würde.

Dennoch streift er sich recht früh eine Uniform über. Er verspricht sich ein abenteuerliches Leben bei der SS.

„Meine Gefühle waren gemischt: Freude darüber, dass die Geschichte wohl stimmte, und Zweifel, weil ich so sorglos mit jemandem sprach, der an all dem beteiligt gewesen war.“ (S. 151)

Auch für uns Leser ist dieser Abschnitt von Bernhards Geschichte nicht einfach. Mehrmals musste ich das Buch für ein paar Tage zur Seite legen, denn das Gelesene hat mich zu sehr mitgenommen.

Wie durch ein Wunder überlebt Bernhard den Krieg und die Besatzung, nur um sich gleich wieder eine Uniform überzustreifen. Diesmal ist er die Uniform der roten Armee. Er arbeitet als Dolmetscher für die Russen, immer in Angst, als ehemaliges SS Mitglied aufzufliegen.

Und dann kommt der Tag, wo das doch passiert. Bernhard Mares beginnt einen Abstieg, der nicht zu enden scheint. Mit viel Glück überlebt er das russische Gefängnis, nur um in Tschechien schnell wieder eingesperrt zu werden. Er wird amnestiert und wieder eingesperrt, bricht aus und wird wieder festgenommen. Aber immer schafft er es, seine Liebe, Sophie Rubinstein, die er aus Mauthausen retten konnte, kurz zu sehen.

Nach seiner Odyssee durch die Gefängnisse, wird er in den Westen entlassen, kommt dort zu Reichtum und macht sich auf die Suche nach seinen Wurzeln in Südamerika. Er findet seinen Frieden und gegen Ende seiner Tage, erzählt er seine Geschichte.

„Ich hörte ihm aufmerksam zu. Lauschte seinem Redefluss, wartete, wenn er nach dem passenden tschechischen Wort suchte, oder, was in regelmäßigen Abständen vorkam, abhustete. Sah ihn nach dem Stock greifen und mir drohen, wenn eine meiner Fragen ihn aufregte. Er zwang mich zum Nachdenken. Über ihn, über mich. Darüber, wie ich gewesen wäre in seinem Leben, das mich immer mehr absorbierte.“ (S. 20)

Und so ergeht es auch uns Leser. Das macht diesen Roman so brutal. Wir sind gezwungen nachzudenken. Der Ich-Erzähler stellt die Fragen, die wir uns als Leser auch stellen müssen. Wie wäre ich gewesen, in seinem Leben?
Das Leben des Journalisten ist stark verbunden mit Bernhards Lebensgeschichte. Immer wieder findet er sich in Alkoholgelagen wieder, immer wieder versucht er auszubrechen. Auch die guten Zeiten finden sich in beiden Biografien und schlussendlich schafft es auch der Erzähler, sich mit seinem Leben auszusöhnen.

„Die Wahrheit sagen“ ist wahrhaftig ein brutaler Roman über die Liebe zum Leben. Ich empfehle es allen, die bereit sind eine Reise durch die Vergangenheit anzutreten, die stellenweise sehr schwer zu ertragen ist. Ich empfehle es allen, die bereit sind, sich auch mal mit ihrer dunklen Seite auseinanderzusetzen und allen, die ein Gedankenexperiment wie dieses zulassen könne.