Die Wahrheit ?

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sophia60 Avatar

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Ein junger Journalist entdeckt durch Zufall , dass auf einem Schrottplatz ein alter Mann in einer selbstgezimmerten Hütte lebt und "den Schrottplatz aufräumt".
Von Neugier getrieben besucht er den Alten , der im nahegelgenen Dorf nur "der Nazi" genannt wird, und gewinnt dessen Vertrauen. Der Alte erzählt ihm seine Lebensgeschichte:
"Ich habe in der SS gedient und in der Roten Armee.......Ich war zum Tode verurteilt und habe überlebt........Knäste und Lager. Fast zwanzig Jahre lang."
Diese Lebensgeschichte des SS-Mannes Mares lockt den Journalisten und er beginnt über 4 Jahre lang die Lebensgeschichte des "zornigen alten Mannes" aufzuschreiben und zu dokumentieren.

Im Vorwort zu seinem Buch schreibt Formanek u.a. : "Ich war auf der Suche. Vielleicht nach dem Sinn des Lebens....Oft war ich erfüllt von schaudernder Angst und Hoffnungslosigkeit. Es gab Momente, da fürchtete ich, überhaupt nicht weitergehen zu können...."

Genauso ist es mir beim Lesen dieses außergewöhnlichen Romans auch ergangen. Wie schon im Untertitel benannt, wird sehr viel Brutalität und Gewalt geschildert, manchmal bis zur Grenze des Erträglichen. Mehrfach musste ich die Lektüre unterbrechen, um das Gelesene zu verarbeiten.

Sogar die Liebesgeschichte vom SS-Mann Bernhard Mares zur Jüdin Sophi Rubinstein im Außenlager des KZ Mauthausen beginnt mit einer brutalen Vergewaltigung. Dennoch entsteht hier eine Liebesbeziehung, die Mares in den langen Jahren der Gefangenschft den Glauben an den Sinn des Lebens und die Liebe nicht verlieren lässt.

Der Autor schildert in diversen Zwischenkapiteln, wie sich seine Beziehung zu Mares entwickelt und welche Erkenntnisse er daraus ziehen musste. "So bin ich mit Bernhard durch das Tal des Leidens zum Berg der Erkenntnis gegangen" (Vorwort)
"Dass wir Böses mit Bösem bezahlen, für Gutes wiederum Gutes bekommen....hatte Mares sich allein erkämpfen müssen " ( S.407)
In einem der letzten Kapitel bedankt sich Formanek: "Danke, Bernhard , für die Geschichte und den Freund, für einen zusätzlichen Großvater. Für das starke Gefühl, dass Gott derjenge ist, der gibt und nimmt. Nicht wir, sondern unsere Taten sagen die Wahrheit über uns--da wo alles Gerede nutzlos ist." ( S. 430)

Wen also die brutalen Kriegserlebnisse nicht abschrecken, wer die Schilderungen des Gefängnisalltags übersteht, erfährt in den letzten Kapiteln des Buches wie Mares seine familiären Wurzeln erforscht, eine zweite große Liebe erleben darf und schließlich mit dem Leben und seinem Schicksal versöhnt im Alter von 84 Jahren, (wie ihm als Jugendicher geweissagt wurde) , in einem Zug sitzend friedlich, sekttrinkend auf sein Leben anstoßend, verstirbt.
Viele Fragen nach Lebenssinn und Schicksalhaftigkeit von Vorbestimmungen werden aufgeworfen, Gottessuche und Handlungen wie "Engel für andere spielen" werden angesprochen und an vielen Stellen tiefsinnig vom Autor erörtert.
Ob jeder Leser und jede Leserin das alles so nachvollziehen kann sei dahingestellt; am besten Sie lesen das Buch selbst und finden ein eigenes Urteil !