Gefährliche Freundin

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buecherfan.wit Avatar

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In “Die Wahrheit über Alice”, dem Debütroman der Australierin Rebecca James, geht es um ein junges Mädchen, das nach einer furchtbaren Tragödie, die das Leben ihrer Familie zerstört hat, den Namen Katherine Patterson annimmt und nach Sydney geht, um dort das letzte High School -Jahr zu absolvieren. Ein Jahr zuvor ist ihrer 14jährigen Schwester Rachel etwas Schreckliches zugestoßen, als sie - die 16jährige Katie - die Verantwortung für Rachel hatte. Seitdem fühlt sie sich schuldig . In der neuen Umgebung ist sie Einzelgängerin. Sie hütet sorgfältig ihr Geheimnis und bestraft sich selbst durch ihre völlige Isolation. Umso erstaunter ist sie, als die schöne, allseits beliebte Alice Parrie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln ihre Freundschaft sucht. Alice gelingt es, Katherine aus der Reserve zu locken, und Katherine findet wieder Freude am Leben, freundet sich auch mit Robbie, Alices Freund und ihr bedingungslos ergebenem Verehrer an. Dann beginnt Alice, sich zu ändern, wird immer grausamer und bösartiger. Robbie klärt Katherine über die dunkle Seite des Charakters ihrer gemeinsamen Freundin auf, die er aus leidvoller Erfahrung schon gut kennt. Je besser es Katherine geht, je glücklicher sie wirkt, desto mehr Entgleisungen leistet sich Alice, so dass Katherine versucht, auf Distanz zu gehen. Dennoch scheint die Katastrophe unvermeidbar.

Erzählt wird in stetem Wechsel auf drei verschiedenen Zeitebenen. Der Roman beginnt mit einer Art Prolog in der Erzählgegenwart. Katherine ist circa 22 Jahre alt und hat eine vierjährige Tochter: Sarah. Alice ist seit vier Jahren tot, nachdem sie Katherine das Liebste genommen hat, was sie besaß. Wer oder was das ist, erfährt der Leser erst sehr viel später. Mit diesem Prolog wird der Ausgang vorweggenommen, und damit gibt es auch keine zielgerichtete Spannung, bei der das Ende bis zum Schluss unbekannt bleibt.

Auf der zweiten Zeitebene ist Katherine 17 Jahre alt und begegnet an ihrer Schule der etwa 18jährigen Alice Parrie. Die Entwicklung ihrer Beziehung wird in Rückblenden dargestellt. Eine andere Serie von Rückblenden bezieht sich auf die Zeit ein Jahr zuvor und zeigt Katie in ihrer Familie bis zu den tragischen Ereignissen um Rachel.

Obwohl der Leser gleich zu Anfang das Ende kennt, ist der Roman spannend und liest sich ausgesprochen gut. Es ist dennoch unverkennbar, dass er dem Genre “Young Adult novel” zuzurechnen ist, eben mit den typischen Ingredienzien von Jugendliteratur: die junge Heldin in Bedrängnis, Themen wie Liebe und Sexualität, Schwierigkeiten mit den Eltern und Erwachsenen im allgemeinen, Drogen, Promiskuität, ungewollte Schwangerschaft, Gewalt und Mord. Andererseits sind das ja auch durchaus Themen, die erwachsene Leser interessieren können. Die Charaktere sind sorgfältig gezeichnet, wirken aber dennoch zum Teil archetypisch: die überirdisch schöne, aber durch und durch böse Alice, die von Traurigkeit und Schuld zerfressene Katherine mit ihrem Geheimnis, von dem keiner wissen darf... Beide sind nicht, was sie zu sein scheinen, und das macht ihre Charakterzeichnung komplexer und interessanter. Es gelingt Rebecca James sehr überzeugend, aus der Perspektive eines Teenagers zu erzählen. Tempo und Stil machen den Roman zu einem echten page turner, auch wenn die Handlung gelegentlich vorhersehbar ist. “Die Wahrheit über Alice” ist kein Thriller - da stören u.a. auch die eingestreuten, ziemlich trivialen Liebesszenen (z.B. S. 204) - , aber eine solide, gut erzählte Geschichte, die trotz allem mit einigen überraschenden Wendungen aufwartet - insgesamt also durchaus empfehlenswert.