Tatsachen sammeln, um die Dinge zu verstehen

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theresia626 Avatar

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Der neue Roman der italienischen Bestsellerautorin Milena Agus „Die Welt auf dem Kopf“ spielt auf Sardinien. Eine noch unbekannte Ich-Erzählerin ergreift das Wort und erzählt in den vier kurzen Kapiteln der Leseprobe über ihre Eltern, ihren Vater, der sich früh das Leben nahm und ihre Mutter, die wahnsinnig wurde. Sie bewohnt eine Wohnung in der Mitte eines ehemals prächtigen Patrizierhauses in Cagliari, die ihre Großmutter mütterlicherseits vor vielen Jahren gekauft hatte. Es ist eine ärmliche Gegend, die “… vorwiegend von Schiffbrüchigen aus Pakistan, Bangladesch, dem Senegal, Maghreb und aus China bewohnt wird.“ (S. 27) Sie stellt Mr. Johnson vor, der Signore von oben, einen amerikanischen Violinisten in den Siebzigern, der auf Kreuzfahrtschiffen spielt und dessen Frau, eine extravagante reiche Sardin, die ihn gerade verlassen hat. Er braucht dringend eine Haushaltshilfe, und die Erzählerin denkt sofort an Anna, die Signora von unten. Anna ist herzkrank und muss sich mit verschiedenen Putzstellen ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie bewohnt mit ihrer Tochter Natascha die ehemalige Dienstbotenwohnung im Haus, die dunkel und ärmlich eingerichtet ist. Die Erzählerin erinnert sich an ihre Jugend, in der sie gerne Bücher mit Kinderreimen las, die sie auswendig lernte, weil sie diese Welt liebte „in der alles auf dem Kopf stand und trotzdem alle glücklich waren.“ (S. 21/22) Glücklich war sie nur in den Sommerferien in Cagliari, in dem Haus, in dem sie jetzt lebt. Sie beobachtete die Menschen, und die älteren Herrschaften im Haus regten ihre Fantasie an. Leider wollte ihre lieblose Tante auch diese Kontakte unterbinden und sah in ihrem Interesse für andere nichts als Neugier. Die Erzählerin brauchte jedoch nach der Familientragödie eine Orientierung. Da half ihr das Sammeln und Zusammenfügen von Tatsachen, die Welt besser zu verstehen.

Milena Agus schreibt in schlichter Sprache, aber dennoch mit viel Poesie. Alle Personen haben einen Namen, außer der Erzählerin. Die Geschichten, die die Autorin erzählt, wirken alltäglich, sind nicht besonders spannend oder irgendwie außergewöhnlich. Es sind einfühlsame Erzählungen über das Leben auf Sardinien, die Eigenheiten der Sarden und immer wieder die Kraft und den Zauber der Liebe. Hier findet die Autorin einen ganz besonderen Ton, den der Leser auch in der vorliegenden Leseprobe wiedererkennt. Sie weckt die Bereitschaft, sich erneut verzaubern zu lassen.