Vergebliche Hoffnungen

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roomwithabook Avatar

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Mit Wundern ist es so eine Sache: Natürlich kann man darauf hoffen. Doch wenn man arm ist, diktiert letztendlich das Geld, oder eher der Mangel daran, was vom Leben zu erwarten ist. Elena Medel hat einen Roman über zwei Frauen aus der spanischen Arbeiterklasse geschrieben, Großmutter und Enkelin, María und Alicia, die beide als junge Frauen nach Madrid ziehen und mit wenig Geld und schlecht bezahlten Jobs auskommen müssen. Da allerdings enden ihre Gemeinsamkeiten auch schon. Das verbindende Element, Carmen, Tochter und Mutter, bleibt eine Leerstelle im Roman und auch im Leben der Frauen. María wird als junges Mädchen ungewollt schwanger und von der Familie gezwungen, als Dienstmädchen in Madrid zu arbeiten, während ihre Tochter von ihrer Mutter und ihrem Bruder Chico aufgezogen wird. Anfangs hegt sie noch die Hoffnung, Carmen irgendwann nachzuholen, doch bald schon erkennt sie, wie unmöglich das ist. Carmen wird ihr immer fremder, die Besuche zu Hause seltener, und irgendwann verlieren sie ganz den Kontakt. Carmen heiratet später einen jungen Aufsteiger, bekommt selbst zwei Töchter und lebt zumindest eine Weile als wohlhabende Hausfrau, bevor ihr Mann sich aus Angst vor dem Bankrott erhängt. Für ihre Tochter Alicia sind der Tod des Vaters und der soziale Abstieg traumatisch, sie zieht zwar zum Studium nach Madrid, bricht dieses jedoch ab und hangelt sich von einem schlecht bezahlten Job zum anderen.
Elena Medels Roman ist sperrig und fragmentarisch, so wie Carmen eine Leerstelle im Leben ihrer Mutter und Tochter bleibt, lässt auch der Text vieles offen, als Lesende sind wir gezwungen, uns Teile der Geschichte zusammenzureimen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kapitel aus Alicias und Marías Sicht nicht chronologisch geordnet sind, sie springen hin und her, erklären Dinge oft erst im Nachhinein oder lassen sie ins Leere laufen. Das ist manchmal anstrengend zu lesen, passt aber zur Geschichte. So wie wir als Lesende durch die Handlung, werden auch die beiden Frauen wie Spielbälle durch ihr Leben getrieben, sie haben wenig Möglichkeiten zur Selbstbestimmung. Doch es gibt durchaus Unterschiede: Während María politisch aktiv ist und für ihre Unabhängigkeit kämpft, lässt sich Alicia treiben, obwohl sie durchaus Privilegien hatte, beispielsweise ein Studium beginnen konnte. Sie ist eine unsympathische Protagonistin, die auf andere Menschen herabsieht und kein Mitgefühl zeigt. Ganz anders als María, die in ihrer politischen Arbeit im Stadtviertel aufgeht und sich um viele Menschen kümmert. Doch so gegensätzlich sie auch sind, zeigen beide Facetten eines prekären Lebens auf, das es ihnen nur unter großen Mühen erlaubt, ein unabhängiges Leben zu führen. Alicias Entscheidungen mögen fragwürdig sein, doch letztendlich sucht auch sie sich Nischen, in denen nur sie entscheidet, was passiert.
Als ich diesen Roman beendet habe, brauchte ich eine Weile, um meine Gedanken zu sortieren. Es ist keine gefällige Geschichte, aber eine, über die ich noch lange nachgedacht und deren Figuren ich immer noch im Kopf habe. Und das spricht definitiv für das Buch!