Versprechungen - Verrat - Vergebung

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
schmiesen Avatar

Von

"Es gab die da oben, die alles besaßen, es gab die da unten, ohne Eigentum und Rechte, und es gab die über alle herrschende Zarin, ihr Mütterchen. Alles, was geschah, war von Gott gewollt und Fügung. Daran konnte niemand ernsthaft zweifeln, oder?"


Die Welt blickt gebannt nach Russland, als die junge Katharina sich nach einem Putsch selbst zur Zarin krönt. Um die neue Frau an der Spitze Russlands im Auge zu behalten, schickt der preußische König Friedrich den Philosophen Stephan Mervier als Spion an den Hof der Zarin. Der junge Mann verfällt der Schönheit der Stadt, doch kann er sich mit Katharinas Regierungsstil nicht anfreunden, obwohl er sie von Herzen bewundert. Die Herrscherin sieht sich Kriegen und Rebellionen gegenüber, obwohl sie eigentlich nur eines will: ihr Land von Grund auf reformieren. Und dann ist da noch ihre Ziehtochter Sonja, die sich ihr immer stärker widersetzt. Stephan steht zwischen den Fronten - und muss sich früher oder später entscheiden.

Einige Generationen nach Peter dem Großen blüht Sankt Petersburg in voller Schönheit. Villen und Paläste, Kunst- und Wissenschaftsakademien, Parks und Gärten machen die Stadt zu einer europäischen Oase mitten im rückständigen Russland. Jedem Satz merkt man die Liebe der Autorin zu "Piter" an. Sie kennt die Stadt offenkundig in- und auswendig und führt die Leserin mit sicherer Hand durch die Straßen und Häuser, ohne jemals mit weitschweifigen Ausführungen zu langweilen.

Für Katharina, die sich als europäische Herrscherin sieht, gibt es natürlich keinen besseren Regierungssitz als St. Petersburg. Von Anfang an ist klar, dass diese Frau widersprüchliche Gefühle hervorrufen wird. Sie ist außerordentlich willensstark und sehr klug, doch sie kann auch furchteinflößend sein, wenn sie beispielsweise ihren Gatten kaltblütig ermorden lässt, um an die Macht zu kommen. Man erkennt schnell, dass Katharina es mit ihren Reformen ernst meint, dass sie aber gleichzeitig auf etlichen Hochzeiten gleichzeitig tanzen und alle gleichermaßen zufrieden stellen muss - was natürlich unmöglich ist. Außenpolitische Hindernisse, wie der Krieg gegen die Türken, und die innerrussischen Aufstände verzögern ihre innenpolitische Umstrukturierungspläne immer weiter und rufen immer mehr Kritiker auf den Plan. Ihre Zerrissenheit ist in diesem Roman greifbar, genauso wie ihr allzu menschliches Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit. Die Neigung, der Zarin sich viele Liebhaber zu halten, verschweigt die Autorin nicht, doch nie wird es in diesem Roman so plakativ dargestellt wie in anderen Porträts der Herrscherin.

Stephan Mervier, der als unterhaltender Philosoph/Spion an den Hof der Zarin entsandt wird, entpuppt sich schnell als pseudo-heldenhafter Kritiker des russischen Regimes. So ganz nimmt man ihm seine Wandlung vom vergeistigten Philosophen zum erwachten Umstürzler (wenn auch nur im Geiste) nie wirklich ab, denn im Grunde verharrt er untätig in seiner angenehmen Position im engen Umfeld der Kaiserin - und diese vergibt ihm auch so manchen Fauxpas. Auch andere Figuren zeichnen sich nicht unbedingt durch außerordentlich Tiefe aus - Sonja beispielsweise, die Ziehtochter der Zarin, die in allen Belangen so grundlegend der höfischen Norm widerspricht und ihren Sturschädel überall durchsetzt (klassisches widerspenstiges Mädchen mit Heldinnenpotenzial) oder Boris, der verkannte Schriftsteller und Schöngeist. Der Geschichte ist das aber nicht abträglich, denn sie alle machen doch auch Veränderungen durch, die authentisch und spannend zu lesen sind.

Es tauchen allerhand historische Figuren im Ränkespiel rund um Katharina und Stephan auf, angefangen beim ersten Günstling der Zarin, Orlow, bis hin zum Philosophen Diderot. Die fiktiven Charaktere sind allerdings wesentlich zahlreicher und stehen auch im Fokus der Geschichte. Die häufigen Perspektivwechsel geben dem Roman eine ungeheure Dynamik, die beim Lesen einfach mitreißt. Zwar störten mich irgendwann die diversen Liebesgeschichten, die in doch immer recht ähnlichen kitschig-blumigen Worten beschrieben wurden, doch die geistreichen Dialoge und der glaubhafte Spannungsbogen machten das alles wieder wett. Gerne hätte ich noch mehr über die aufständischen Leibeigenen gelesen, deren Zerrissenheit zwischen der lang ersehnten, neu erkämpften Freiheit und der Frage, was sie nun mit dieser Freiheit anfangen sollen, großartig geschildert wurde. Ich bin aber zuversichtlich, dass der dritte Teil der Trilogie hier noch anknüpfen wird.

Erneut entführt Martina Sahler die Leserin an die Ufer der Newa, wo sich in ihrem Roman Fakten und Fiktion kunstvoll miteinander verweben. Auf die ein oder andere Liebesgeschichte oder erzwungen wirkende Wendung hätte ich zwar verzichten können, aber das tut dem Gesamteindruck des Roman keinen Abbruch. Auch mit dem zweiten Band der St. Petersburg-Trilogie konnte mich die Autorin begeistern und fesseln, und ich erwarte mit Spannung das krönende Finale.