Wie findet man in dieser unendlichen Welt die Liebe?

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"Wir waren besorgt. Entrückt. Verzweifelt. Wir waren leicht. Drauf und dran, einander zu lieben. Dennoch verharrten wir an der Schwelle der Liebe, unfähig, sie zu überschreiten."

Nishino lebt ein unstetes Leben, insbesondere im Hinblick auf Frauen. Nach nichts sehnt er sich mehr als nach der Liebe - aber keine Frau bleibt bei ihm, und ihm scheint es unmöglich, treu zu sein. In diesem kleinen Roman kommen zehn von Nishinos zahllosen Geliebten zu Wort, die alle ihre Kämpfe mit diesem Mann ausfechten mussten.

Der Roman ist episodenhaft und unchronologisch erzählt. Jede der zehn Geliebten berichtet in der Retrospektive von ihren Erfahrungen mit Nishino und davon, wie sie ihn geliebet hat - und ihn verließ. Denn an Nishino scheint die Liebe abzuprallen, obwohl er sie sich so sehr wünscht. All seinen Freundinnen und Geliebten gegenüber verhält er sich liebevoll, erkennt ihre Eigenheiten und ihre Einzigartigkeit - doch der Schritt über die Schwelle scheint dem Paar nie zu gelingen. Und immer sind es die Frauen, die gehen.

Liegt das daran, dass er so gut wie immer zweigleisig fährt, ein scheinbar notorischer Fremdgeher ist? Oder an seiner Lebenshaltung, die nichts verspricht? Scheinbar nicht - es ist irgendetwas, das unter der Oberfläche liegt, eine merkwürdige Beziehung, die ihn mit seiner toten Schwester verbindet. In diese Beziehung erhält man ein paar kleinere Einblicke - aber im Grunde bleibt Nishino ein Mysterium, das wir genauso wenig durchschauen wie die Frauen an seiner Seite. Eins steht allerdings fest: Er ist keineswegs bösartig, selbst nicht bei seiner Fremdgeherei. Er scheint einfach nur jede Frau in sein Herz schließen zu können, ohne alle anderen gleichzeitig ausschließen zu müssen. Er ist kein Betrüger im eigentlichen Sinne, denn er meint es mit allen ernst - das macht ihn sympathisch und gleichzeitig tragisch.

Die Erzählweise ist sehr japanisch, mit vielen Anspielungen aufs Traum- und Geisterhafte. Bezeichnend hierfür ist die erste Episode des Romans, in dem eine ehemalige Geliebte Nishinos Geist begegnet und mit ihm und ihrer Tochter im Garten Wasser trinkt. Solch materische Geister trifft man nur in der japanischen Literatur. Es gibt auch die ein oder andere verstörend anmutende Szene, die man sicher symbolisch lesen kann - doch der japanische Symbolismus ist einfach sehr fremd. Ein großes Lob muss in dieser Hinsicht den Übersetzerinnen ausgesprochen werden, die es geschafft haben, ein japanisches Buch wohlklingend ins Deutsche zu übertragen. Chapeau!

Es ist sehr erfrischend, dass in "Die zehn Lieben des Nishino" ausschließlich Frauen zu Wort kommen, auch wenn das Bild von Nishino dadurch nicht plastischer wird. Er wirkt selbst wie ein Geist, eine Erscheinung am Rande der Geschichte. Man muss japanische Literatur schon mögen, um an diesem Buch mit seinem doch recht eigenen Schreibstil Gefallen zu finden, aber dann lohnt es sich auf jeden Fall, denn einige schöne Gedanken finden sich auf den knapp 200 Seiten durchaus. Mein Liebling: "Warum ist die Welt so unendlich?"