Aufwühlend und mitreißend

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Saya, Hani und Kasih, die Ich-Erzählerin, das sind die Drei Kameradinnen, beste Freundinnen aus der Kindheit/Jugend, die sich bei einer Hochzeit in ihrer alten Siedlung wiedertreffen. Was folgt ist eine schwindelerregende Erzählung über Rassismus, Sexismus und weiblicher, bedingungsloser Zusammenhalt, die mich als Leserin gleichzeitig mitgerissen, durchgeschleudert und gefordert hat.

Erinnerungen und direkte Ansprache an uns LeserInnen wechseln, (Orts-/Personen-)Namen werden weggelassen, Dinge werden erfunden (und dann umgehend zugegeben) oder bleiben vage, Vergangenheit und Gegenwart wechseln fließend: "Ihr habt das nicht gemerkt, denn ohne mich und meine wohlwollende Informationsgabe seid ihr nun mal aufgeschmissen...". Kurz gesagt: ein traditionelles Leseraster fehlt komplett, und so hangelte ich mich unsicher von Seite zu Seite, und wusste des Öfteren nicht, wie mir geschah. Spannend bestimmt auch für einen Buchclub oder Buddy-Lesen, weil ich mir gut vorstellen kann, dass komplett unterschiedliche Leseerlebnisse zustande kommen.

Der NSU Prozess, obwohl nie explizit benannt, bietet den zeitlichen Rahmen und von diesem Ereignis, das über die deutschen Grenzen hinweg nachrichtenmäßig relevant war, hören wir die persönlichen Geschichten von Opfern (rechte Gewalt und Alltags-rassismus bzw. Sexismus) - ich konnte nichts anderes tun, als zuzuhören. Das Unbequeme am Zuhören ist natürlich, dass man sich selber hinterfragen muss: seine Wahrnehmung, eigenes Handeln (oder das Unterlassen davon), eigene Denkstrukturen (inklusive Vorurteilen), den eigenen, gelernten oder zumindest nicht aktiv verlernten Alltagsrassismus, Konsequenzen. Unbequem, aber absolut und immer notwendig.

"Ich neige nicht zu Neid, aber zu Sehnsucht."

Sehnsucht ist in Shida Bazyars Buch ein ganz zentrales Thema: Sehnsucht nach Akzeptanz, Sehnsucht nach Teilhabe in all ihren Formen, Sehnsucht nach einer Normalität, die für weiße MitbürgerInnen mit "deutschen" Namen ganz selbstvertändlich ist, Sehnsucht nach Sicherheit, Unversehrtheit und Unbeschwertheit... und gleichzeitig spürt man als Leserin die Angst vor Stigmatisierung, Ausschluss, (Be-)Wertung, Übergriffen; Bedrohungen also, die nicht nur aus dem rechten Spektrum kommen, sondern die ganze Gesellschaft betreffen. Wenn ich mir etwas wünsche, ist es, dass alle LeserInnen nach der Lektüre Empathie für die Drei Kameradinnen und die Sehnsucht ihrer Pendants mitten in unserer Gesellschaft entwickeln... und dass wir alle einfach mehr zuhören!