Du

Viele absurde Grautöne

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buchina Avatar

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„DU“ Titel und Cover erregen sofort Aufmerksamkeit, nicht nur weil sie ungewöhnlich sind, sondern da man erst einmal kaum etwas damit anfangen kann. Die dunklen Farben deuten auf Grusel- und Thrillerelemente hin. Da das mein erster Roman von Zoran Drvenkar ist, habe ich mich wirklich auf meinen ersten Eindruck verlassen müssen. Für alle Drvenkar-Kenner ist er ja als bekannter Thriller-Autor bekannt. Ich stürzte mich also ohne irgendwelche Vorkenntnisse in diesem Roman. Den Klappentext sollte man besser auch nicht lesen, der verwirrt nur.

Das erste Kapitel mit „Der Reisende“ überschrieben, erinnert sehr an einen typischen Thriller, indem man durch die Augen eines Massenmörders blickt und ihn  so bei seinen Taten beobachten kann. Wie so oft begreift man die Grausamkeiten nicht, sondern kann nur hilflos dabei zusehen. Sehr ungewöhnlich und für mich auch verwirrend war die Ansprache „du“. Ich bin es gewohnt mit einem Ich-Erzähler oder aus der Beobachtung heraus der Handlung zu folgen, aber direkt angesprochen zu werden nicht. Ich habe mich aber sehr schnell daran gewöhnt und nach ein paar Seiten fiel es mir kaum noch auf.

Szenenwechsel, Kapitel ist umschrieben mit „Ragnar“. Diese Überschriften über jedes Kapitel, die beschreiben aus welchem Blickwinkel man jetzt der Handlung folgt, bleiben im ganzen Roman bestehen. Ich brauchte sie auch, denn ohne diese wäre ich manchmal der Verzweiflung nahe gewesen. Denn durch die immer gleiche Ansprache mit „du“ konnte ich sonst kaum folgen, wem ich da folge. Ragnar scheint ein übler und brutaler Typ zu sein, der gerade seinen toten Bruder findet. Viel mehr erfährt man nicht oder kann mit den Informationen nicht viel mehr anfangen.

Szenenwechsel, nächstes Kapitel „Stinke“. Der Spitzname einer jungen Frau oder besser Mädchens, die mit ihrer Mädchenclique die letzten Wochen bis zum Schulabschluss versucht rumzukriegen.

Drei Handlungsstränge, die nicht zusammenzupassen zu scheinen und erst am Ende wirklich aufgelöst und zusammengeführt werden. Bis dahin wird man von Kapitel zu Kapitel in neue Situationen und Leben hineingeworfen, dazu kommen weitere Handlungsstränge, die erst einmal nur verwirrend sind. Innerhalb der ersten 50 Seiten war ich mir die ganze Zeit unsicher, ob mir der Roman überhaupt gefällt. Aber als ich immer mehr von den Charakteren erfuhr und verstand, konnte ich kaum aufhören. Denn die Handlung nimmt sehr an Geschwindigkeit zu. Die Zufälle sind oft so absurd, dass man nie mit ihnen gerechnet hätte und das ganze Handlungskonstrukt, das ich mir beim Lesen langsam aufgebaut hatte, bricht zusammen und ich musste von neuem beginnen.
Zum Teil war die Handlung sehr unglaubwürdig. Aber was weiß ich, manchmal spielt das Schicksal einfach verrückt. Es wurde mir immer wieder klar es gibt keine schwarz/weiss, sondern nur viele Grautöne, auch dort, wo ich es auf keinen Fall erwartet hatte. Dazu tragen vor allem auch die Geschehnisse der Vergangenheit bei, die die Handlungen zum Teil erklären, aber erst nach und nach preisgegeben werden.

Der Schreibstil ist ungewöhnlich aber gut. Zu jedem Charakter und Handlungsstrang findet Drvenkar die richtige Sprache, sei es bei pubertierenden Jugendlichen oder einem Angestellten mittleren Alters. Die Ansprache mit „du“ ist verwirrend, aber – wie gesagt – es fällt nach ein paar Seiten kaum auf.

Ich kann den Roman jedem Thriller-Liebhaber nur empfehlen. Er ist ungewöhnlich und nicht nach den typischen Mustern gestrickt. Deshalb auch mindestens, die ersten 50-70 Seiten lesen und dann erst weglegen, wenn man dann immer noch nicht warm wird. Ein Minuspunkt muss ich am Ende doch noch hinzufügen, 100 Seiten weniger hätten dem Roman auch nicht geschadet, vor allem bei der Mädelsclique hätte man kürzen können.