Im Stillen

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clematis Avatar

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Elly Berger, 1900 als Tochter einer Pfarrerfamilie geboren, ist Köchin im bekannten Berliner Hotel Adlon und geht später in Stellung bei der jüdischen Familie Sternberg. Anfangs genießt sie das Leben in der Stadt in vollen Zügen, als jedoch Sternbergs Sohn Leon das Licht der Welt erblickt, schlägt ihr Herz für den kleinen Erdenbürger. Daher denkt sie keine Sekunde nach, den Buben als den ihren auszugeben und zu fliehen, nachdem die Familie bei den Nazis denunziert worden ist.

Schwere Zeiten stellt Marie Sand dar in diesem bedrückenden und düsteren Roman. Aufgrund von Erzählungen ihrer Großmutter, welche ebenfalls Köchin gewesen ist in einem jüdischen Haushalt, beginnt die Autorin zu recherchieren und bildet hier – stellvertretend für viele stille Helden – die fiktive Geschichte von Elly Berger ab. Beeindruckend zeigt sich, wie Elly ihr eigenes Leben hintenanstellt, um dem kleinen Leon Schutz und Sicherheit zu bieten, ohne selbst zu wissen, wie sie das denn in diesen Zeiten bewerkstelligen kann. Ihr Augenmerk ist stets auf das Wohl des zarten und schwachen Kindes gerichtet, selbst wird sie immer mehr zu einem funktionierenden Wesen.

Obwohl die tristen Lebensumstände und die schwierigen Verhältnisse in Zeiten von Hunger und Kälte spürbar unter die Haut gehen, so bleibt Elly doch die vielen Jahre hindurch distanziert und wenig greifbar für den Leser. Spiegelt diese Verzerrung der Figur vielleicht den inneren Rückzug wider, die einzige Möglichkeit, durchzuhalten? Ist das Reduzieren auf Arbeiten und Schlafen eine Strategie, nicht durchzudrehen oder zu resignieren, sondern für die Kinder, die Zukunft, einen maschinengleichen, strikten Tagesablauf einzuhalten und aus den letzten Überresten noch ein paar Bissen Nahrung auf den Tisch zu bringen? Möglich, dass deshalb kaum eine unmittelbare Nähe zu dieser wunderbaren und uneigennützigen Person aufgebaut werden kann. Lange hat der Leser das Gefühl, die gesamte Geschichte wie durch einen nebulösen Schleier zu betrachten, als ob Elly eine unsichtbare Wand rund um sich und Leon aufgezogen hätte, hinter der sie sich verstecken möchte, bis endlich alles vorbei ist.

Erst sehr spät, nämlich am Ende des stillen Romans, der ohne mahnenden Zeigefinger dunkle Kapitel des letzten Jahrhunderts wachruft, wandelt sich auch die Gefühlswelt, welche nunmehr auf den Leser überzuspringen vermag. Plötzlich verspürt man ein Kribbeln unter der Haut und Glück, das die kommenden Tage bringen werden. Wie viel hat passieren müssen, dass Elly und ihre Lieben ankommen können in einer neuen Welt, in einer Welt, die dem Namen des Romans „ Ein Kind namens Hoffnung“ gerecht werden kann?

Düster, traurig, mit kaum wahrzunehmender Zuversicht, so präsentiert Marie Sand ihr Romandebüt – man darf gespannt sein auf ihr nächstes Buch …



Titel Ein Kind namens Hoffnung

Autor Marie Sand

ISBN 978-3-426-30909-4

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 288 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book und Hörbuch

Erscheinungsdatum 4. Oktober 2022

Verlag Droemer