Familiäre Spurensuche wunderbar verknüpft mit deutscher Geschichte.

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geschwaetz Avatar

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Hannes Köhler „Ein mögliches Leben“

Familiäre Spurensuche wunderbar verknüpft mit deutscher Geschichte.


Hannes Köhler erzählt die Geschichte von Franz Schneider, einem deutschen Soldaten, der 1944 mit seinen Kameraden im 2. Weltkrieg von den Amerikanern in der Normandie gefangen genommen wird.
Nachdem die amerikanischen Soldaten die Ladung ihrer Schiffe (Kriegsmaterial) gelöscht hatten, nahmen sie die Gefangenen an Bord und schifften sie nach Amerika aus, um sie dort in Lager zu internieren.
Der inzwischen 90jährige Franz Schneider reist mit seinem Enkel von Deutschland nach Texas/Amerika, um die Orte seiner Gefangenschaft noch einmal zu sehen und um zu überprüfen, ob die Landschaft so aussieht und so riecht, wie er sie in seiner Erinnerung hat.
Seine Kriegserlebnisse waren für ihn so unfassbar, dass er am Strand in der Normandie begann Steine als stumme Zeugen zu sammeln, eine Angewohnheit, die ihn sein Leben lang begleiten sollte, um sich später erinnern und vergewissern zu können, dass er wirklich an diesen Orten war, dass er das alles wirklich erlebt und überlebt hat.
Hannes Köhler erzählt die Geschichte von Franz Schneider stellvertretend für diese Generation, seinen Kameraden, seinem Freund im Gefangenenlager, seinen Eltern, seines Bruders, seiner Frau und seines Enkels sehr einfühlsam und ruhig. Er bettet die Erinnerungen der Protagonisten wunderbar in die jeweils aktuelle Handlung ein, so dass ein sehr lebendiges und authentisches Bild der Menschen und der Zeit entsteht, die er beschreibt.
Die Kriegsgefangenen bekommen in den Lagern so gut wie keine Informationen über den Verlauf des Krieges. Diejenigen, die überzeugte Hitler-Anhänger sind streiten sich erbittert mit denen, die immer schon gegen die Nazidiktatur und den Krieg waren und denen, die während des Krieges begriffen haben, wie unmenschlich dieses Abschlachten ist. Hier wird sehr gut herausgearbeitet, wie Propaganda funktioniert, wie es gelingen konnte, so viele Menschen für den Nationalsozialismus zu begeistern und dass man sich, wenn man selbst denkt, hinsieht und begreift, seine eigene Meinung bilden, seinen Irrtum eingestehen und sich gegen dieses menschenverachtende System stellen kann.
Damit gelingt dem Autor eine treffende Parallele zur heutigen Zeit.
Und so lässt er den alten Franz Schneider auch sagen, dass diese Leute, die Hass, Diskriminierung und Gewalt über uns ausschütten, wieder Wählerstimmen bekommen. Er prangert an, dass es in den Medien viel zu viele Dokumentationen über Hitler gibt und zu wenige über andere Themen, die den Krieg betreffen, was dazu geführt hat, dass die Deutschen es lieben Hitler zu hassen.
Es ist aus den richtigen Gründen, gegen den Nationalsozialismus zu sein, eine falsche, eine zu oberflächliche Art der öffentlichen Präsentation geworden, die zu einer Mach-mit-Aktion gehört, wie das Posten von Slogans in den sozialen Medien, während über die Ursachen der erneuten Entwicklung von Hass und Gewalt nicht genug nachgedacht, nicht ausreichend reflektiert, nicht laut genug gesprochen wird.
Auch deswegen wünsche ich diesem Buch viele Leser, vor allem viele junge Leser.
Der Titel „Ein mögliches Leben“ mahnt uns und erinnert uns daran, dass wir unser Leben selbst in die Hand nehmen müssen. Wir müssen ständig Entscheidungen treffen und auf Veränderungen reagieren. Manche Veränderungen werden von außen erzwungen, manche können wir selbst herbeiführen. Franz Schneider hatte nicht viele Möglichkeiten sein Leben zu verändern. Manche hat er genutzt, andere nicht, weil er seine Entscheidung nicht nur für sich, sondern auch für andere traf. Es hat keinen Sinn im Alter darüber grübeln, was für ein Leben möglich gewesen wäre, wenn man sich selbst bewusst für einen Weg entschieden hat, den man später bereut oder betrauert. Da kann es nur tröstlich sein, wenn man für das Wohl anderer auf eigene Träume verzichtet hat.

Die umfangreiche Recherchearbeit des Autors bekommt dem Buch und der Geschichte sehr gut.
Mir haben sein Erzähl-und Schreibstil sehr gut gefallen, vor allem, dass er sich nicht in Klischees verliert.
Einzig dieser Satz „Der Tisch lacht.“ hat mich gestört, weil mich solche Sätze immer ärgern und ich mich frage, warum das ein Lektor so stehen lässt.
Sämtliche im Buch beschriebenen Amerikaner werden positiv dargestellt, aber das kann man tolerieren, wenn man davon ausgeht, dass dies die Perspektive des Franz Schneider und seinen Erlebnissen war, aus der erzählt wurde.
Das Bild im Querformat auf dem Cover lässt erahnen wie weit und einsam die Texanische Steppe um das Lager ist und wie klein und fremd sich die Gefangenen dort gefühlt haben müssen.

Diesen Roman zu lesen kann ich sehr empfehlen!