spannend, interessanter Hörgenuss

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elke seifried Avatar

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Die achtzehnjährige, widerspenstige Anja, die an den falschen Typen geraten ist und im Moment Probleme mit ihren Eltern und der Tatsache, dass sie sich wohl scheiden lassen werden, hat, wird von ihrem Vertrauenslehrer angesprochen. Ein Bekannter des Direktors suche für seine Mutter jemanden, der ihr unter der Woche ab und an Gesellschaft leistet. Ein kleiner Nebenjob, so verkehrt ja nicht und deshalb verspicht sie wenigstens einmal bei der alten Dame vorbeizuschauen. Diese will die Bemutterung eigentlich gar nicht, will ihr eigentlich nicht einmal die Türe öffnen, aber irgendetwas scheint die beiden Frauen zu verbinden und deshalb öffnet Lili Anja doch die Tür einen Spalt.

Der Autor spielt mit zwei Handlungssträngen. Zum einen begleitet man Anja bei ihren Treffen mit Lili, erfährt auch von ihren psychischen Problemen und denen mit ihren Eltern. Zum anderen erfährt man nach und nach durch Rückblenden in die Vergangenheit, warum Lili so zurückgezogen lebt, was sie so belastet. Man erfährt, davon, dass ihre Mutter früh gestorben ist, ihr Vater Jakob sich gemeinsam mit dem chinesisch-japanischen Freund Takeshi, den er durch seinen Teehandel kennengelernt hat, sich liebevoll um sie gekümmert haben, Dann auch von ihrem weiteren Leben, davon wie sie durch Zufall in Kontakt mit Familie Pechstein und damit zur Königlichen Porzellan-Manufaktur kommt. Erzählt wird darüber hinaus zudem davon, wie die Porzellanmalerei und die Herstellung dessen ihr weiteres Leben bestimmt und schließlich muss man als Leser dann auch mit ihr die Machtergreifung der Nationalsozialisten als Tochter eines Juden miterleben.

Lilis Vater Jakob hat jüdische Eltern, praktiziert seinen Glauben jedoch nicht, ihre Mutter war Katholikin. Um Lili Wurzeln zu geben, entschließt sich Jakob, sie von Rabbi Teichelmann unterrichten zu lassen, die Entscheidung welchen Glauben sie annehmen wird, bleibt ihr für später selbst überlassen. Auch wenn Lilis Leben durch eine Aussage des Rabbis eine schlechte Wendung nimmt und es zu wünschen wäre, das wäre ihr erspart geblieben, fand ich es unheimlich interessant, durch diese Verbindung unheimlich viele Einblicke in den jüdischen Glauben zu erhalten.

Ganz klar dreht sich auch ganz viel um die Porzellanherstellung, was ich aber nicht minder interessant fand, Bei der Zusammensetzung angefangen, über die Herstellungsweise, die Eigenschaften und die Verwendung zu verschiedenen Zeiten, sogar auch mit einem kleinen Ausflug nach Japan, bis hin zur individuellen Bedeutung für Lili und Anjas Mutter von einzelnen Stücken, erfährt man hier unheimlich viel.

Jakob hat mit Tee gehandelt, Takeshi der japanisch-chinesische Freund die Teezubereitung regelrecht zelebriert, auch hier darf man als Leser oft mit dabei sein und auch einiges darüber erfahren, was mir ebenfalls gut gefallen hat.

Ein neues Blau, so heißt der Titel und Farben spielen in diesem Roman eine große Bedeutung. So ist es z.B. nicht nur ein Spiel zwischen Takeshi und ihr, sich über ihre jeweilige Gefühlslage in Schattierungen von Blau für Lili und Weiß für ihn auszutauschen, was teilweise auf eine fast schon poetische Art und Weise geschieht, muss man etwas damit angefangen können, ich konnte es immer mehr.

Sehr gut hat mir auch die historische Zeitreise gefallen. Dem Autor ist es gelungen die Atmosphäre der Zeit gelungen einzufangen und man erhält auch viele kleine Details die Geschichte interessant machen. Da wird nebenbei schon mal erwähnt, dass per Aushang die letzte Pferdebahnstrecke auf Berliner Gelände stillgelegt wurde und von nun an nur noch die Elektrische verkehrt, wenn davon berichtet wird, wie Lilis Eltern sich kennengelernt haben, welche Ausbildungen nur Jungen vorbehalten sind, wenn Lili sich bewerben will oder auch davon welche Verzierungen wann und warum auf das Porzellan gemusst haben.

Der einnehmende Erzählstil des Autors hat mich ziemlich schnell gefangen genommen. Er hat viele bewegende, teilweise tieftraurige Szenen parat, die einen einfach nicht kalt lassen können, einige interessante Wendungen, mit denen ich vorab nicht so gerechnet hätte, aber auch viele schöne Momente, wie z.B. die Teerituale und ab und an darf man auch schmunzeln, wenn z.B. eine Lili für die Kinderbetreuung bei Pechsteins als Bezahlung fordert, wäre schon nicht schlecht, wenn ein paar Butterbrote dabei rumkommen würden. Da ich die Hörbuchversion hatte, musste ich mich erst ein wenig daran gewöhnen, dass die Rückblenden in die Vergangenheit nicht chronologisch erfolgen. Das hat mich anfangs ein wenig irritiert beim Hören, aber die Tatsache einmal durchschaut, war das keinerlei Problem mehr und musste ja auch so sein, um die Geheimnisse erst nach und nach zu offenbaren.

Die Charaktere sind allesamt wirklich gelungen gezeichnet. Sowohl Anja als auch Lili waren mir von Anfang an sympathisch und gelitten habe ich sicher auch mit beiden, auch wenn Lili sicher die größere Rolle spielt. Erwähnen muss ich auch unbedingt noch Takeshi, der mich mit seiner zurückhaltenden Art und seinen tollen Ratschlägen schwer beeindruckt hat, und auch Anjas Therapeuten, der wirklich etwas drauf hat.

Eine richtig tolle Idee ist, dass das Hörbuch von zwei Sprecherinnen gelesen wird. Sowohl Eva Meckbach als auch Nina Lilith Völsch haben eine sehr angenehme Stimme, und ich habe beiden wirklich sehr gerne zugehört. Die jugendliche Stimme, ich denke die von Frau Völsch, passt perfekt zu den Passagen, die von Anja und den Besuchen erzählen. Auch die widerspenstige Art des Mädchens mit dem weichen Kern bringt sie gekonnt an den Hörer. Beide Sprecherinnen haben ein gutes Händchen dafür, die Stimmungen und die Atmosphäre gekonnt zu transportieren.

Alles in allem bekommt „Ein neues Blau“ eine absolute Hörempfehlung von mir.