Wunderbare Geschichte von Freundschaft und vielem mehr

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marionhh Avatar

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Berlin, 1985: Schülerin Anja, bei der zurzeit einiges im Argen liegt, wird von ihrem Vertrauenslehrer angehalten, sich bei der alten Dame Lili Kuhn zu melden und sich als deren Gesellschafterin zu bewerben. Die ist einigermaßen überrascht, lässt sich aber darauf ein. Lili erzählt aus ihrem bewegten Leben, ihren jüdischen Wurzeln, weiht Anja in die Geheimnisse der Porzellanherstellung und in die japanische Teezeremonie ein. Die beiden ungleichen Frauen beginnen sich behutsam aneinander anzunähern, und nach anfänglichem Widerwillen werden für
beide die Besuche immer wichtiger und helfen jeder von ihnen, ihren inneren Frieden zu finden.

Lustig, traurig, berührend, packend, erschütternd – es gibt fast keine Emotion, die dieses Buch nicht auslöst. Obwohl der Erzählstil des Autors teilweise eher sachlich und reduziert wirkt und er sich keinerlei überflüssiger Bemerkungen schuldig macht, so trifft er doch immer den richtigen Ton, ohne schwülstig oder verkrampft zu werden. Gekonnt wechselt er die Perspektive und erzählt im Wechsel aus der Sicht Anjas, in der Ich-Form, die Geschehnisse in der Gegenwart und als allwissender Erzähler aus der Sicht Lilis deren Leben von 1919 bis 1932. Dies tut er im Falle der Anja-Perspektive eher flapsig-jugendlich und im Falle der Lili-Perspektive gehoben-literarisch. Der Leser erhält zudem in dem Maße, in dem Anja von Dritten mehr aus Lilis Leben erfährt, ebenfalls weitere Informationen über diese Zeit hinaus. Mitunter meint man geradezu, dass der allwissende Erzähler das Geschehen ironisch kommentiert. Jedenfalls entsteht so nach und nach das Bild einer außergewöhnlichen Frau und ihres ungewöhnlichen Lebens, in welchem Porzellan eine große Rolle spielt und die Farbe Blau sich wie ein roter Faden durchzieht. Es geht jedoch nicht um eine lückenlose Biografie oder eine nüchterne Schilderung von Ereignissen. Es geht um Liebe und Freundschaft, Familienbande, Treue über den Tod hinaus, Mut und Stärke, sein Leben in die Hand zu nehmen und nicht zuletzt um die Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln und Vergebung.

Obwohl die Geschichte eine der leisen Töne ist und ohne große Action daherkommt, fesselt sie doch ungemein und besticht durch ihre außergewöhnlichen Charaktere. Lili ist eine unglaubliche Persönlichkeit, und ihr Leben und ihre Erlebnisse machen einmal mehr die Schrecken des Nationalsozialismus deutlich. Für eine Frau in jener Zeit macht sie ungewöhnliche Dinge und hat dabei nicht wenige Schicksalsschläge zu ertragen. Dabei steht ihr zu jeder Zeit ein ebenso faszinierender Mensch zur Seite: ihr lebenslanger Beschützer und Vaterersatz Takeshi, von dem man gerne mehr erfahren hätte. Diese absolute Verbundenheit berührt sehr und macht einen Großteil des Reizes dieser wunderbaren Geschichte aus. Mich berührte aber noch mehr, wie Anja sich entwickelt, wie sie nach anfänglichem Missmut immer mehr in die Welt Lilis eintaucht, sich ihrer eigenen Wurzeln bewusst wird, ihre Gegenwart und Verhalten hinterfragt und schließlich lebenswichtige Entscheidungen trifft. Sie wird vom verstörten, sich schuldig fühlenden Kind zur verantwortungsbewussten jungen Frau, die ihren Weg geht.

Fazit: Ein wunderbares Buch und jedem zur Lektüre wärmstens ans Herz gelegt. Berührt einen im tiefsten Innern und hallt lange nach. Wer starke und vielschichtige Frauenfiguren liebt und sich für Bindungen interessiert, wird dieses Buch lieben!