Konnte mich leider nicht gefangen nehmen

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elke seifried Avatar

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Vor acht Monaten ist seine Frau gestorben, seitdem hat niemand mehr außer ihm die Wohnung betreten, er fühlt nichts als Leere und Einsamkeit, warum nur hat er sein Leben lang die Dringlichkeiten immer vor die Wichtigkeit der Dinge gestellt? Um dieser Leere Abhilfe zu verschaffen, lädt der 67-jährige Witwer kurzerhand seine Tochter Sonia und deren Familie ein, mit der er sich zumindest ab und an trifft, während er zu Sohn Alessandro, der so weit weg lebt, kaum und Giulina, die nichts mehr mit ihm zu tun haben will, gar keinen Kontakt mehr hat. „Als er beschloss, Sonias Familie einzuladen, wusste er, dass er sich im ersten Mal in seinem Leben an den Herd würde stellen müssen. Und er wusste auch, dass er um Mamas rotes Rezeptbuch nicht herumkäme, diese überdimensioniert Moleskine , das schon vor der Geburt Alessandros Geburt Teil unseres Lebens gewesen war und uns als wir klein waren, sogar in die Ferien begleitet hatte.“ Für den weitgereisten Brückenbauingenieur, dessen Frau sich stets um alles gekümmert hat, eine kleine Herausforderung, und er freut sich fast, dass es ihm doch so gut gelingt. Dieser Freude tut jedoch dann ein Anruf von Sonia Abbruch, denn sie ist mit Töchterchen Rachaelle im Krankenhaus in der Notaufnahme und kann daher nicht kommen. Um der Enge und Leere in seiner Wohnung und auch seiner Enttäuschung zu entkommen, macht er sich auf einen Spaziergang in den Skaterpark und trifft dort auf Gaston und dessen Mutter Elena. Gaston, der die Fertiggerichte seiner Mutter satt hat, beginnt zu nörgeln und so ist eine Einladung schneller ausgesprochen, als nachgedacht. Und schon wenig später gilt, „Die beiden verspürten den Drang zu erzählen, zu teilen, und so kam ein Wort zum nächsten.“, Gespräche durch die Erkenntnisse reifen.

Der Autor lässt die Geschichte von Giulina, der Tochter, die den Kontakt abgebrochen hat, erzählen. Man bekommt daher die Gefühle, außer den ihr eigenen, nur aus zweiter Hand präsentiert. So ist zwar die Leere und Einsamkeit deutlich spürbar, die der Vater verspürt, aber so richtig nah konnte ich ihm nicht kommen, auch einer Elena leider nicht, auch wenn mich die Geschichte mit einzelnen Szenen durchaus bewegen konnte. Z.B. wenn er mit Gaston gemeinsam Halfpipes für sein Fingerboard baut oder wenn er erkennt, dass man immer beide Seiten betrachten muss, dass ein Riss meist in beide Richtungen wächst. Dass mir diese Art der Erzählung aber trotzdem nicht ganz so gut gefallen hat, mag vielleicht auch an der Tatsache liegen, dass sich die Erzählerin so an der Tatsache, dass ihr Vater eine Affäre gehabt hat, ob dem wirklich so war, sei dahingestellt, aufreibt, was ich nicht so ganz nachvollziehen konnte. Fabio Geda vermag sich auszudrücken. Er beschreibt teilweise bis ins Detail, fast schon ein wenig zu ausladend für meinen Geschmack und stellenweise musste ich mich sehr konzentrieren, damit meine Gedanken bei scheinbaren Nebensächlichkeiten nicht abgeschweiften. Ich habe so die eine oder andere Länge verspürt, vor allem bis es endlich zu einem näheren Kontakt mit Elena kommt, und musste mich auch immer wieder fragen, wo der Autor damit jetzt wohl mit mir hin will.

Klar, hier sind tolle Botschaften versteckt. Für wie viele Menschen gilt, „Das Leben hatte ihn mit interessanten Menschen zusammengebracht, mit denen er ebenso angenehme wie oberflächliche Beziehungen geführt hatte, kurzlebige Freundschaften, die die Zeit mit der Unerbittlichkeit eines Jahreszeitenwechsels gekappt hatte.“, und längst nicht ein jeder nimmt sich genügend Zeit für Familie und echte Freunde, weil oft so viel anderes scheinbar wichtiger ist. Wieder einmal daran erinnert zu werden, was eigentlich wichtig ist, „Für ihn würde es keine Dringlichkeiten mehr geben, außer die Zeit zu genießen, die ihm Menschen, die ihm etwas bedeuteten, gewährten.“, ist auch bei mir nicht schlecht und die Erkenntnis, Dinge lassen sich nur wiedergutmachen „wenn man Fehler zulässt, wenn man akzeptiert, welche gemacht zu haben, und mehr noch, als es den anderen einzugestehen, muss man sie sich selbst eingestehen.“, ist sicher ebenso wie „Wenn man die Bereitschaft sich zu ändern, nur in alle vier Wände brüllt, droht sie sich im Schrei zu erschöpfen.“, ein guter Ratschlag, den der Autor seinen Leser hier mit seinem leisen, unaufgeregten Roman, der durchaus nachdenklich zu stimmen vermag, mit auf den Weg gibt.

Elena und auch der Witwer haben beide mein Mitleid geschürt, beide einsam, mit tiefen Wunden auf der Seele, zum Teil hausgemacht. Eine grandiose Charakterdarstellung habe ich aber nicht erhalten, weil eben aus der subjektiven Sicht der Tochter geschildert wird. Richtig gerührt hat mich noch der gehandicapte Nachbarssohn André, „Er war sechzehn Jahre alt, benahm sich aber wie fünf.“, schade fand ich, dass der nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen hat, außer dass sein Rätsel, „Er nimmt Leute hoch.“, gelöst wird.

Alles in allem ein leiser Roman, der von Einsamkeit und den Wichtigkeiten des Lebens, die zu oft von den Dringlichkeiten erdrückt werden, erzählt und einige tolle Botschaften parat hält mich aber leider nicht wirklich mitnehmen konnte und daher reicht es bei mir auch nicht mehr ganz für vier Sterne.