Interessante Charaktere, jedoch zu abwegige Rahmenhandlung

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fraupfeffertopf Avatar

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Trotz, dass die Handlung insgesamt ruhig geschrieben ist, veranlasst die Geschichte, sich beim Lesen über kurz oder lang in die Welten der Figuren zu verlieren. Diesbezüglich benötigte ich jedenfalls einige Zeit, da mir die Geschichte etwas unzusammenhängend erschien. Jede individuelle Geschichte und damit verbundene Hintergründe wurden nur langsam enträtselt, sodass es schwer fiel, die vergangenen Leben mit dem gegenwärtigen Ereignis zu verbinden.
Die Charaktere sind alle auf ihre Weise sehr stark und berühren dementsprechend auf unterschiedliche Weise. Lucia ist komplex ausgearbeitet, klug und ein wenig verrückt. Mit fast zweiundsechzig Jahren hat sie so viel, leider meist nichts Gutes erlebt, jedoch konnten ihre Vergangenheit und ihre deutlich zu Tage tretende Einsamkeit nicht ihr lustiges und dynamisches Wesen nehmen. Lucias Vermieter ist Richard, ein älterer Mann, der anfangs eher griesgrämig wirkt. Im Laufe der Handlung kristallisieren sich aber auch die Lasten seines Lebens heraus. Umso schöner war die sich entfaltende Liebesgeschichte zwischen den beiden, auch wenn diese nicht ganz zu dem "Problem Leiche" passt. Evelyn stellt die geheimnisvollste der drei dar. Als sie vor Lucias und Richards Tür steht, ist sie zutiefst verängstigt, steckt in wirklichen Schwierigkeiten und ist zugleich Auslöser für die gemeinsam zu verbringenden Tage in einem eingefrorenen NY mit Rückblenden auf die individuellen und auf ihre Weise erschütternden und tragischen Leben, die von zerrütteten Familien durch politische Umwälzungen, Migration und Exil erzählen. Von allen Geschichten ist Evelyns die wohl schlimmste. Ihr Mut, ihre Ausdauer und ihre Fürsorge lassen einen ebenso mit ihr sympathisieren wie mit den anderen beiden. Jede Hintergrundgeschichte füllt Allende reich mit Details und führt den Leser in die Vergangenheit nach Chile, Brasilien und Guatemala, um die drei Leben dann zu einem untrennbaren Ensemble zu vereinen. Der Schreibstil Allendes verleiht dabei Atmosphäre und dem Roman wird eine ganz eigene, der Jahreszeit anlehnende, winterliche Stille zuteil, die die Begegnung der Charaktere rahmt. Die Stärke des Buchs liegt eindeutig bei den Charakteren, weniger in der Handlung selbst.
Dies führt auch zu dem schwächsten Aspekt. Dieser ist meines Erachtens der Grund, warum diese Charaktere überhaupt zusammen kamen. Das anfangs noch faszinierende Rätsel, mündet in eine unergründliche, abwegige, zu einfache Situation, das darüber hinaus angesichts des Rückblicks, der den Großteil des Dramas in der Geschichte konstruierte, in den Hintergrund zu rücken scheint. Warum das "Hier und Jetzt" für die anderen Teile der Handlung notwendig ist, bleibt undurchsichtig und hinterlässt einen störenden Nachgeschmack.
Zurück bleibt die hoffnungsvolle Botschaft, dass einem nach unaussprechlichen Ereignissen auch wieder das Gute widerfahren kann.