Der Sünde Sold ist der Tod

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buecherfan.wit Avatar

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Robert Goolricks zweiter Roman “Ein wildes Herz” spielt im Jahr 1948-49 in der Kleinstadt Brownsburg in Virginia. Eines Tages kommt ein Fremder in einem alten Auto in die Stadt. Sein Name ist Charlie Beale. Er hat nur zwei Koffer bei sich. In einem ist eine Menge Geld, im anderen ein Satz wertvoller Messer. Nach einer Woche beschließt er, sich an diesem Ort niederzulassen und kauft ein Stück Land am Fluss. Er bietet Will Haislett, dem Metzger, seine Dienste an. Er und seine Frau Alma, eine Lehrerin, nehmen ihn freundlich auf, ihr fünfjähriger Sohn Sam folgt ihm bald auf Schritt und Tritt, und Charlie Beale liebt das Kind. Die Einwohner des Ortes behandeln ihn mit Ablehnung und Misstrauen, aber sie beobachten jeden seiner Schritte. Eines Tages betritt Sylvan Glass, die wunderschöne, erst 20jährige Ehefrau von Harrison Boatwright Glass, genannt Boatie, dem reichsten Mann im Ort, die Metzgerei. Er ist ein übergewichtiger, äußerst unsympathischer Mann, der seine damals 17jährige Frau in einem entlegenen Tal von ihrer verarmten Familie gekauft hat und sie seitdem durch einen Knebelvertrag an sich bindet, der es ihr unmöglich macht, ihn zu verlassen. Keiner mag Boatie, und auch seine Frau ist wegen ihres affektierten Gehabes und ihrer glamourösen Kleider, die sie von der begnadeten farbigen Schneiderin Claudie Wiley anfertigen lässt, nicht beliebt.
Von der ersten Begegnung an weiß der 39jährige Junggeselle Charlie, dass sie die Frau ist, auf die er immer gewartet hat. Einige Zeit später beginnen sie eine leidenschaftliche Affaire. Das KInd muss das Geheimnis seines väterlichen Freundes bewahren und ist damit völlig überfordert. In einem so kleinen Ort, in dem jeder alles über die anderen weiß, gibt es schnell Gerede, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Beziehung bekannt wird. Von Anfang an hat der Leser das beklemmende Gefühl, dass die Sache ein böses Ende nehmen wird und wundert sich über Charlies Naivität.
Aber der Autor erzählt nicht nur die Geschichte einer von Anfang an chancenlosen leidenschaftlichen Liebe. Er zeichnet auch ein sehr stimmiges Bild des amerikanischen Kleinstadtlebens in der Nachkriegszeit. Dort herrschen Engstirningkeit, Xenophobie und Rassismus, denn es war die Zeit der strikten Rassentrennung. Alle gehen sonntags in die Kirche und geben sich zumindest nach außen hin fromm, auch wenn uns vieles im Verhalten der Einwohner reichlich unchristlich und unbarmherzig vorkommen mag. Die Geistlichen der vier Kirchen für Weiße haben im Ort das Sagen und versetzen die Gläubigen mit ihren Predigten über Hölle und Verdammnis in Furcht und Schrecken.
Der Roman liest sich recht gut und ist teilweise sehr bewegend, aber er wird zum Ende hin immer düsterer und ziemlich melodramatisch. Erzähltechnisch ist er ausgefallen und nicht frei von Schwächen. In einer Art Rahmenhandlung erzählt Sam Haislett 60 Jahre später die Ereignisse von 1948-1949, eine Zeitspanne von etwa 1 1/2 Jahren, die man subjektiv als viel länger empfindet. Der alte Mann tritt hier als Ich-Erzähler auf, der am Schluss begründet, warum er die Erinnerung an die damaligen Geschehnisse bewahrt hat und nun erzählt. Die Käufer eines Hauses und des zugehörigen Grundsstücks sollen wissen, dass dieses Land eine Geschichte hat, die sie kennen müssen, wenn sie hier leben wollen. Der übrige Roman ist in der dritten Person geschrieben - also heißt es auch "Sam" und "er" -, und die Geschichte wird von einem allwissenden Erzähler erzählt, der Zugang zu den Gedanken und Gefühlen aller Protagonisten hat. Nur durch diese ungewöhnliche Konstruktion ist es möglich, über eine Vielzahl von Ereignissen zu berichten, deren Zeuge der fünfjährige Sam gar nicht gewesen sein kann. Auch die Charakterisierung der Figuren ist nicht immer stimmig. Gerade noch haben die Einwohner von Brownsburg Charlie Beale wie einen Heiligen verehrt, da lassen sie den von den Geistlichen verdammten Sünder aus Angst um ihr Seelenheil von einem Tag zum anderen fallen und empfinden nur noch Verbitterung. Auch Sylvans Verhaltensweise zum Ende hin ist nicht völlig nachvollziehbar. Bei der Figur des Charlie Beale wartet der Leser vergeblich auf Informationen über seine Vergangenheit.
Dennoch ist der Roman durchaus empfehlenswert, nicht zuletzt, weil neben Charlies an Besessenheit grenzender Liebe auch die Einbettung in eine eindrucksvolle Landschaft und einen historischen Kontext eine wichtige Rolle spielt.