Ein Winter mit Baudelaire

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Anfang Mai in einem Vorort von Paris. Philippe Lafosse, 27 Jahre alt, erzählt seiner Tochter Claire (6 1/2-jährig) eine letzte Gute-Nacht-Geschichte. Seit drei Monaten ist er von seiner Frau Sandrine (Tochter aus gutem Hause, wurde von Philippe schwanger, schnelle Heirat, seine Schwiegereltern haben ihn nie akzeptiert) geschieden, nun wirft sie ihn entgültig aus der Wohnung. Er findet keine Wohnung und verliert noch seinen Job als Handelsvertreter einer Firma für Wärmepumpen. Innerhalb von vier Wochen landet er auf der Strasse.

Für Philippe geht es in den nächsten Monaten weiter bergab (seine Frau verbietet ihm praktisch den Kontakt zur Tochter, neue Adresse und Schule von der Philippe nichts weiss), bis er auf Baudelaire trifft und es wieder bergauf geht.

Was passiert eigentlich in dieser Geschichte? Irgendwie nichts und doch sehr viel. Es ist kein Buch welches Action und Spannung bereit hält. Es schildert das menschliche Leben, welches sehr zerbrechlich scheint. Harold Cobert erzählt in einer leisen, auf eine Art auch einfachen Sprache eine Geschichte, die vermutlich jedem Menschen passieren könnte und er hält der menschlichen Gesellschaft einen Spiegel vor. Wie gehen wir Menschen eigentlich mit unserer eigenen Spezies um? Nicht gerade nett, andererseits scheinen auch nicht alle Menschen es verdient zu haben, dass man nett mit ihnen umgeht (z.B. Philippes Ex-Frau Sandrine samt ihren Eltern, die hasst man eher bei der Lektüre; aber auch gewisse Obdachlose, welche im Buch beschrieben werden.)

Das Buch ist aber auch kein Tagebuch eines Obdachlosen, Philippes Tage und Wochen werden meistens in diesem Stil zusammengefasst: "Essen. Schlafen. Trinken. Sauber bleiben. Emmaus. Betteln. Auf den Titelseiten der Zeitungen das Datum lesen. An Claire denken. Gehen. Waschsalon. Schlafen. Wasser lassen. Die Tage zählen. Essen...." Je länger er obdachlos ist, desto tiefer sinkt auch die Sprache: "Pennen", "Pinkeln", "Kacken" etc. Es werden aber auch Episoden mit anderen Obdachlosen geschildert. Und es ist eine Werbung für die Obdachloseneinrichtung "Le Fleuron" (existiert wirklich seit 1999), welche für Obdachlosen und ihre Hunde da ist und den Menschen mit Sozialarbeitern, Tierärzten und Anwälten zur Seite steht.

Leider trifft man erst nach 2/3 des Buches auf Baudelaire, dann ist es schon Januar/Februar.

Fazit: Man sollte dieses Buch nicht lesen, wenn man deprimiert ist. Es ist kein fröhliches Buch und ein Happy End hat es eigentlich auch nicht wirklich. Es lässt einem traurig zurück. Aber es zeigt auch, dass es ein Licht am Ende des Tunnels geben kann und was wirkliche Freunde zählen. Man sollte (muss) dieses Buch lesen, weil es etwas anderes ist, als dieses Mainstream geschreibsel der heutigen Zeit, in der es womöglich nur um Gewalt und Action geht.

Und weil es ist eine Hommage an den Hund ist wie Baudelaire geschrieben hat:

Ich singe die armseligen Hunde, die einsam in den gewundenen Schluchten der unermesslichen Städte umherirren, und sie, die dem verlassenen Menschen mit geistvoll blinzelnden Augen sagten: "Nimm mich zu dir, und aus dem Elend von uns beiden machen wir dann vielleicht so etwas wie Glück."