"Für sie, damit man sie nicht mehr ansieht, ohne sie zu sehen."

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kainundabel Avatar

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Diese Widmung hat Harold Cobert seinem Roman "Ein Winter mit Baudelaire" vorangestellt und "sie" sind diejenigen, zu denen er selbst fast einmal gehört hätte - die Obdachlosen.

Sandrine, Tochter aus gutem Hause, hat sich gegen den Willen der Eltern für den nicht standesgemäßen Philippe entschieden. Doch eines Tages setzt sie ihn vor die Tür und Philippe leidet sehr unter der Trennung von seiner kleinenTochter Claire. Von nun an geht's bergab: Verlust der Wohnung, des Arbeitsplatzes, kein Einkommen, kein Arbeitslosengeld. Seine Welt wird die Straße, die Lüftungsschächte, Hauseingänge, Metrostationen, Obdachlosenheime. Erst im letzten Drittel taucht Baudelaire auf, ein streunender Hund, der für den bevorstehenden Winter Philippes treuer Begleiter wird. 

Cobert erzählt Philippes Leben auf der Straße unprätentiös, unspektakulär, aber warmherzig und äußerst einfühlsam. Die Erzählzeit Präsens ist eher ungewöhnlich für einen Roman, vermittelt dem Leser aber während der gesamten Zeit das Gefühl, mit dabei zu sein. An jedem Schritt, jedem Gedanken, jedem Schicksal wird der Leser beteiligt. Die dadurch erzeugte Nähe ist das Besondere dieses Romans, der seinen Focus auf eine Minderheit richtet, die zum täglichen Bild unserer Großstädte gehört, aber schamhaft übersehen wird.

Mit "Ein Winter mit Baudelaire" hat Cobert eine Mischung aus Roman und Sachbuch vorgelegt und beide Bereiche kunstvoll miteinander verwoben. Ich habe das Buch in einem Atemzug gelesen, es ist für mich einer der einfühlsamsten und warmherzigsten Romane der letzten Jahre.