Hohle Phrasendrescherei

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Ester ist erleichert, als ihr Verlobter Raffaele sie endlich heiratet und mit aufs Festland nach Genua nimmt. Bald zieht es sie jedoch zurück in die sardische Heimat. Doch auch dort wird sie nicht glücklich. Ihrer Tochter Felicita soll es da besser gehen, und tatsächlich findet sie ihren kleinen Flecken Glück im Hafenviertel in Cagliari. Dort verdient sie sich ihren Lebensunterhalt mit dem Herstellen hübscher Kleinigkeiten und zieht ihren Sohn Gregorio groß, den es als Pianist in die weite Welt zieht.

Dieses Buch ist der erste riesige Flop im neuen Lesejahr. Als es bei mir ankam und ich gesehen habe, dass das Werk gerade einmal knapp 200 Seiten umfasst, habe ich mich schon gefragt, wie auf so wenig Raum die Geschichte von drei Generationen erzählt werden soll. Und tatsächlich ist das Buch nicht viel mehr als eine Skizze, in der die immer gleichen Phrasen an den immer gleichen, vorhersehbaren Stellen platziert werden, um den Anschein von Tiefgründigkeit zu erzeugen. Ständig geht es um das "gelobte Land" (das italienische Original heißt entsprechen "Terre promesse") oder um eine "perfekte Welt" (was soll das überhaupt sein?). Das sind platte, plumpe Motive, die schön klingen, aber nichts erklären.

Denn dieses gelobte Land befindet sich je nach Gusto immer irgendwo anders. Ester will unbedingt weg von ihrer Insel, doch auf dem Festland ist sie genauso depressiv. Zurück auf der ersehnten Insel wird nichts besser, und dann lässt Agus ihre erste Hauptfigur einfach fallen und nimmt ihren Namen NIE WIEDER in den Mund. Ihr Ehemann Raffaele war sich mit der Schwiegermutter immer spinnefeind, aber als sie zurückkehren ist er der Einzige, der mit ihr zurechtkommt. Ja, Menschen ändern sich, manchmal sogar dramatisch, aber wenn diese Veränderungen weder erklärt noch subtil angedeutet, sondern einfach um der Geschichte willen hingenommen werden, dann hat die Autorin in meinen Augen auf ganzer Linie versagt.

Weiter geht die Chose mit Felicita, der dicken Tochter von Ester und Raffaele. Ja, dick! Hatte ich schon erwähnt, dass sie dick ist? Denn Agus' Figuren charakterisieren sich über wenig mehr als ein bis zwei Merkmale. Wo die Autorin hätte weiter ausholen müssen, versäumt sie es, aber wenn es um die Sexszenen zwischen Felicita und ihrem Lover Sisternes geht, hat sie Zeit und Raum für viele Worte. Und diese Szenen sind an Widerwärtigkeit und Frauenverachtung kaum zu überbieten. Wenn das das Sardinien sein soll, das die Autorin in ihren Büchern bewahren will, dann lasst es bitte untergehen! Verwöhnte reiche Bengel, die ihrer Freundin "Du bist meine Hure" auf den Bauch pinseln, und ebendiese Freundin, die das freudestrahlend annimmt und sich tagelang den Bauch nicht mehr wäscht - das brauch ich nicht. Genauso wie solche Sätze (Zitat): "und sie sagte ihm, er solle sie nehmen wie ein Rüde eine läufige Hündin" - da kommt's mir ja hoch. In all ihrer vermeintlichen Weisheit denkt Felicita außerdem bis an ihr Lebensende, Sisternes hätte sie nicht lieben können, weil sie - Achtung, Überraschung! - dick sei. Ja, der Wahnsinn. Dass er vielleicht einfach ein Idiot ist, das kommt ihr nicht in den Sinn.

Ihr gemeinsamer Sohn Gregorio ist ein Außenseiter, der mit seinen Marotten nicht süß ist, sondern nervt. Natürlich erfüllt sich die "Prophezeiung" des jazzliebenden Opas Raffaele und Gregorio wird ein begnadeter Pianist, geht mit seinem Talent nach New York und macht Opa ganz stolz, denn das war immer dessen Traum. Gähn. Irgendein Nachfahre muss also herhalten, um die verschrobenen Träume der Alten zu erfüllen und hat in der Geschichte keinen anderen Zweck. Das ist für mich purer Pathos, denn so funktioniert das Leben nicht.

New York ist ein Moloch, klar, und Gregorio kommt in Kontakt mit ehemals reichen deutschen Juden. Ein bisschen Nazis und Holocaust traut sich Agus also auch noch zu. Leider entsteht dabei eine Figur namens Judith, die aus lauter Trotz ("Mimimi, wir mussten unsere Villen in Köln und Baden-Baden für 'nen Appel und 'n Ei verkaufen, wären wir doch nur geblieben, dann wären wir jetzt REICH! REICH! REICH! - Moment, vergisst du da nicht die Lager und Zwangsenteignungen? Was maßt du dir eigentlich an, du dummes Gör?!) vor ein Auto rennt und stirbt. Eine Welt bricht zusammen, Ester kommt, Ester geht, Gregorio lebt weiter. Ja, das ist tatsächlich der Inhalt dieser Szenen in New York. Kein einziges Gespräch zwischen Mutter und Sohn wird beschrieben, keine tiefgreifende Gefühlsregung, nichts. GÄHN! Sowieso scheint Agus ihre Dialoge lieber umständlich nachzuerzählen, anstatt sie einfach fließen zu lassen.

Dieses Buch hat mich auf ganzer Linie enttäuscht, ja, mich sogar wütend gemacht und voller Gram zurückgelassen. Wenn solch unbedeutende, schlecht geschriebene, mies aufgebaute Geschichten es wert sind, verlegt zu werden, nur weil die Autorin mal einen Bestseller mit Verfilmung gelandet hat, dann weiß ich auch nicht. Wäre das kein Gewinn gewesen und hätte es mehr als die mickrigen 200 Seiten gehabt - ich hätte es nach 50 Seiten in die Ecke gepfeffert und nie wieder aufgeschlagen.