Unverarbeitetes lastet schwer

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Ein Stapel blauer Tagebücher wird zu einem Bindeglied zwischen dem Heute und dem Gestern. Genau genommen sind es mehrere unscheinbare Notizbücher, die die schwedische Schriftstellerin Erica Falck in einem alten Überseekoffer ihrer Mutter entdeckt und die nicht nur für die eigene Familie zum Augenöffner werden. Direkt bei den Büchern findet sich ein deutscher Orden der Nationalsozialisten, eingewickelt in ein blutbeflecktes Hemd eines Neugeborenen. Erica lässt dieser Dachbodenfund keine Ruhe, denn er wirft mehr Fragen auf, als die handschriftlichen Zeilen ihrer Mutter beantworten können.

Auch im fünften Kriminalroman aus der Feder der schwedischen Autorin Camilla Läckberg fallen dem Ermittler Patrik Hedström und seiner Frau Erica Falck zentrale Rollen zu. Doch anders als bei den vorherigen Ermittlungen in 'Die Eisprinzessin schläft', 'Prediger von Fjällbacka', 'Töchter der Kälte' oder 'Die Totgesagten' befindet sich Patrik just in Elternzeit. Zwischen Windeln und Wäsche stattet er seinen Kollegen der Polizeistation Fjällbacka nur ab und an mal einen spontanen Besuch ab, um dann doch von den aktuellen Ermittlungen mehr und mehr eingenommen zu werden.

Der Mord an dem pensionierten Geschichtslehrer Erik Frankel versetzt das ländliche Fjällbacka in Unruhe. Frankel war ein beliebter, wenn auch zurück gezogener Historiker mit einer Spezialisierung auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Sein älterer Bruder Axel war in seiner Jugend tatkräftig gegen die deutsche Besatzung aktiv, während Erik selbst den weniger radikalen Weg gewählt hat, die europäische Tragödie geschichtlich aufzuarbeiten. Eriks thematischer Schwerpunkt und familiäre Vergangenheit lenken die Aufmerksamkeit der Ermittlungen rasch auf die rechtsradikalen Ströme im heutigen Schweden.

Alle drei Handlungsströme um die Tagebücher, den Mordfall und die entsprechenden Ermittlungen nähern sich mehr und mehr an, wobei Ericas Mutter Elsy zum Dreh- und Angelpunkt zwischen dem Gestern und dem Heute zu werden scheint.

Aus der Sparte der skandinavischen Krimis sticht „Engel aus Eis“ deutlich hervor – hier werden diverse literarische Klischees tatsächlich mal nicht erfüllt: Die Rahmenbedingungen im hohen Norden werden nicht düster, sondern erstaunlich alltagsgerecht gezeichnet. Das Team der Ermittler fällt nicht durch Missmut auf, sondern beweist durchaus Humor. Insgesamt lässt der Charakter des Buches die weibliche Feder deutlich erkennen, denn auch dem Privatleben der Hauptpersonen wird viel Raum gegeben.

Bis zu den letzten Seiten ungeklärt bleibt allein die Wahl des deutschen Titels – die Bezeichnung eines 'Engels aus Eis' passt weder zu einem einzelnen der vorgestellten Charaktere, noch lässt sich eine Verbindung zu einem konkreten Geschehen ziehen. Der Originaltitel dieser Neuerscheinung lautet übrigens 'Tyskungen', was in etwa für 'Deutschenkind' steht.