Eine ungewöhnlich gut beobachtete Geschichte

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suse9 Avatar

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Schön, dass man hin und wieder auf solche Bücher trifft. Eine erste Leseprobe lies erahnen, dass ich hier einen Liebesroman der besonderen Art gefunden hatte. Diese Ahnung wurde erfüllt, auch wenn auf eine völlig andere Art als die, die ich erwartete. Der Roman handelt nicht allein von Gerda, einem jungen hübschen Mädchen, dass gezwungen ist, ihre Tochter Eva allein in den 60er Jahren in Südtirol groß zu ziehen, sondern auch davon, wie Eva diese Zeit empfindet, fühlt, erlebt. Doch neben diesen beiden Betrachtungsseiten hält das Buch noch viel mehr bereit. Es ist ein Roman über Liebe, Freundschaft, Nächstenliebe, Intoleranz, Kampf um Eigenständigkeit/Autonomie, gegen Gewalt, für Anerkennung, Gerechtigkeit. Die Autorin verknüpft Gerdas und Evas Leben mit den politischen Ereignissen in Südtirol, von denen ich bis zum jetzigen Zeitpunkt noch überhaupt nichts wusste. Sie schildert das Geschehen in Episoden, die zum Teil schon wie Kurzgeschichten wirken, aber durch die Protagonisten zusammengehalten und verbunden werden. Der Wechsel zwischen politischen und persönlichen Ereignissen machen das Buch spannend. Langeweile kommt nicht auf, da man schon genau lesen muss, um die Zusammenhänge zu verstehen. Obwohl ich die Darstellung Evas Leben als meinen Lieblingsstrang bezeichnen würde, verfolgte ich auch die Entwicklung Gerdas und den Kampf der Südtiroler um Anerkennung mit Interesse.

Ich kann nicht sagen, wie oft ich erstaunt war über den wunderbaren Schreibstil, den versteckten Humor leise geschmunzelt habe. Vor allem die Beobachtungen der Autorin von scheinbar Nebensächlichem hat sie in einfühlsame bildhafte Worte verpackt, die für sich genommen schon eine Entdeckung waren. Einmal angefangen, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Besonders das letzte Drittel lies mich oft weinen und ich konnte es lange nicht zuschlagen. Szenen über den Mut des Küsters, Eva, die beschließt, nicht mehr zu schlafen, bis ihre Mutter wieder da ist oder bereits bei deren Ankunft an den schmerzenden Abschied denkt und die Tatsache, dass noch in den 70er Jahren eine ledige Mutter einen Makel darstellt, setzen mir zu und lassen mich noch lange über diesen Roman nachdenken.

Danke Francesca Melandri für diesen wunderbaren Roman, der sich Zeit mit persönlichen, politischen und landschaftlichen Darstellung nimmt und das Herz anrührt.