Eva schläft

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brenda_wolf Avatar

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Der Roman einer Provinz ohne Vaterland und eines Mädchens ohne Vater, heißt es hinten auf dem Cover. Erzählt wird die Geschichte von Eva und ihrer Mutter Gerda, aber auch die Geschichte des Großvaters Hermann und vor allem die wechselvolle Geschichte des ehemaligen Königreichs Südtirol und umspannt die Jahre 1919 bis 1992

Francesa Melandri hat mit “Eva schläft” einen großartigen Debütroman geschrieben. Ich bin noch ganz erfüllt von der wundervollen Sprache, den Bildern die, die Autorin geschaffen hat. Ich stieß auf Sätze, die ich wieder und wieder lesen musste, so schön und so wahr empfand ich sie.

Zum Inhalt:
Ein Päckchen kommt an für Eva. Ihre Mutter Gerda verweigert die Annahme. Als der Postbote fragt, wo Eva ist, antwortet die Mutter: Eva schläft. So beginnt der große Familienroman, der mit viel historischen Wissen von der jüngsten Geschichte Südtirols erzählt.

Der Satz “Eva schläft” blitzt immer mal wieder durch und wirft die Frage auf: Schläft Eva wirklich? Sie ist auf jeden Fall ein gute Beobachterin. Und ihr ‘Ehemann für zwei Wochen’ behauptet an einer Stelle des Buches, “du hältst dich mit Absicht wach, um zu lauschen.”

Eva ist Anfang 40, als sie einen Anruf von Vito erhält. Er liegt im Sterben und möchte sie noch einmal sehen. Vito der so jäh aus Gerdas und Evas Leben schied. Zu einem Zeitpunkt als Eva dachte, er würde für immer zu ihrer Welt gehören. Sie hatte sich schon als Tochter von Vito, dem pflichtbewussten Carabiniere aus Süditalien, gesehen und ihre Mutter als seine Frau. ....Was war damals vorgefallen? Und warum hat er Eva angerufen und nicht ihre Mutter?

Während der langen Zugfahrt in den Süden Italiens ziehen nicht nur die verschiedenen Landschaften an Eva vorbei, auch Erinnerungen aus ihrer Kindheit und Gedanken an Carlo, dem sie seit 11 Jahren treu ist, tauchen auf. Carlo ist verheiratet und hat 3 Kinder, die Eva noch nie gesehen hat. Er hat nie die Möglichkeit erwähnt, sich von seiner Frau scheiden zu lassen.

Ungewöhnlich sind die Kapiteleinteilungen, die in km- und Jahreszahlen gegliedert sind. Die Kapitel mit den Jahreszahlen blicken zurück in die Vergangenheit und erzählen Gerdas Geschichte. Die km-Kapitel zeigen den Entfernung an, die der Zug in Richtungen Süden inzwischen zurückgelegt hat und gehören Eva, die ihre Geschichte in Ich-Form erzählt.

Einen wesentlichen Teil des Romans nimmt der Freiheitskampf der Südtiroler ein.Nach dem ersten Weltkrieg hatte man Südtirol - beim Friedensvertrag von Saint-Germain- Italien zugesprochen. Mit der Machtergreifung der Faschisten in Italien kam es zu Repressionen gegen die Südtiroler und deren Kulturgut. Die deutsche Sprache durfte in der Öffentlichkeit nicht mehr benutzen werden, Tiroler Trachten, Dirndl und Lederhosen waren verboten. Man versuchte Südtirol gewaltsam zu Italienisieren.

Hermann Huber, der Großvater von Eva wächst in dieser Zeit auf. Kaum 11 Jahren alt, muss er sich bei  Bauern als Knecht verdingen. Jahre später erliegt er der Faszination der schmucken Uniformen der SA und beschließt sich ihnen anzuschließen. Umsiedlungsprogramme werden von Hitler und Mussolini ausgeheckt. Hermann, nun ein eifriger Verfechter der Nazis, macht sich zum Handlanger der Faschisten. Man übt Druck aus auf die “Dableiber”, das Vorgehen artet aus zur organisierten Verfolgung. Und Hermann ist rigoros, er verschont selbst seinen alten Freund Sepp Schwinghackl nicht, der Jahre später für Hermanns Enkeltochter Eva eine wichtige Rolle spielen wird. Die Umsiedlungsprogramme werden durch den Krieg gestoppt.

Hermanns Tochter Gerda entwickelt sich zu einer außergewöhnlich schönen jungen Frau. Mit 16 geht Gerda in Stellung in einem Hotel in Meran und wird zur Köchin ausgebildet. Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt in jener Zeit verdienen mussten - waren ohne Schutz - und galten schlechthin als Freiwild, waren eine “Matratze". Als Gerda ungewollt schwanger wird setzt sich der Chefkoch für sie ein, damit sie bleiben kann. Aber die kleine Eva muss in Pflege gegeben  werden.

Wichtige Figuren sind auch Peter, Gerdas Bruder, der im Freiheitskampf um Südtirol zum Terroristen wird und Uli sein Sohn, Evas Cousin und Freund, der an den damaligen gesellschaftlichen Normen zerbricht.

Die Personen sind hervorragend charakterisiert. Herzenswärme und Kälte werden sichtbar, Bosheit, Zärtlichkeit und Unversöhnlichkeit ...die gesamte Gefühlspalette wird offenbar. Die Landschaftsbeschreibungen fand ich zwar wunderschön, aber in ihrer Ausführlichkeit manchmal etwas ermüdend. Wir erleben die Anfänge des Tourismus, als mit primitiven Zugvorrichtungen mit Seil und Laufrolle die ersten abenteuerlustigen Skifahrer zu den Almweiden hochgezogen werden. Und wie später der Fremdenverkehr gerade für diese Region zur Goldgrube wird.

Ich habe den Roman “Eva schläft” mit großem Vergnügen gelesen. Ein leicht lesbarer, aber sehr anspruchsvoller Roman, der vor allem geschichtlich und politisch interessierten Lesern gefallen wird.