Leicht verdaulich

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alasca Avatar

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Es beginnt mit einem Päckchen, das den weiten Weg von Süditalien nach Südtirol und wieder zurück reist. Wir begleiten Eva, die ihm Jahrzehnte später folgt, Kilometer für Kilometer, die als Meilensteine über den Kapiteln stehen, hinunter in den tiefen Süden Italiens, zurück in die Vergangenheit.

 

Auf den ersten Blick ist es keine ungewöhnliche Geschichte, die Francesca Melandri hier erzählt. Eine Frau wird schwanger, der Vater des Kindes lässt sie sitzen, die Schande ist ganz die ihre und wird auch in ihrem weiteren Leben verhindern, dass sie glücklich wird. Solche Geschichten gab es viele in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

 

Es ist aber nicht nur die Geschichte eines Frauenlebens, sondern auch die Geschichte eines Landstrichs, den die meisten nur als Urlaubsziel kennen. Mit Staunen erfährt man, welch turbulente und gewalttätige Geschichte Südtirol hat. Die Autorin bringt einem die Region mit ihrer Landschaft, Geschichte und ihren besonderen Menschen ganz nah. Ihr gelingen überzeugende Charaktere, wie Ruthi, die sich neunjährig entscheidet, Adoptivmutter zu werden, jetzt, hier und gleich, oder Peter, Gerdas Bruder, den die Sprachlosigkeit und Gefühllosigkeit des Vaters verkrüppelt hat, und der in der Widerstandsbewegung seine emotionale Heimat findet. Was macht einen Heimatrechtler zum Bombenleger? Die Autorin verflicht Persönliches und Historisches und zeigt uns, dass es immer die persönliche Geschichte ist, die zur politischen Motivation wird.  

 

Ein anderes Motiv ist die Unmöglichkeit der Vielschichtigkeit: Italienisch und tirolerisch? Carabiniere und Gerdas Ehemann? Anständig und schwul? Man kann nicht beides sein, nicht in dieser Zeit. Ulli, Evas Jugendfreund, zerbricht daran, ebenso wie das Glück Gerdas mit Vito.

 

Auch das titelgebende Motiv des Schlafes durchzieht den ganzen Roman. Gerda, die nichts mehr wünscht, als dass ihre neugeborene Tochter nachts durchschlafen möge. Die Wichtigkeit für die kleine Eva, brav zu schlafen, nicht im Weg zu sein, nicht zu stören. Und der Schlaf als Zustand der Wehrlosigkeit, der Ohnmacht. So erscheint dem Leser die Schlaflosigkeit der erwachsenen Eva nur logisch, die erst vergehen kann, als sie mit dem Beschützer ihrer Kindheit wiedervereint ist.

 

Die Geschichte der schönen Gerda und ihrer unehelichen Tochter Eva kommt in einer klaren, flüssigen Sprache daher, mit Metaphern, so originell wie treffend, die starke Bilder malt und sich dabei leicht liest. Immer wieder blitzen sprachliche Funken auf, wie die Skizze des Bahnhofpriesters, der auch die sündigen Dessousläden der Shoppingmall segnet.

 

Das versöhnliche Ende war mir eine Spur zu glatt, wie mich auch die Geschichte trotz der sprachlichen Professionalität nicht wirklich berühren konnte - daher auch nur 4 Sterne. Wer aber leicht lesbare, gute Unterhaltung mit Bildungseffekt und Anspruch sucht, ist hier richtig.