Die Schatten der Vergangenheit

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FANZI ist ein im ländlichen Österreich angesiedelter Familienroman, der in der Gegenwart spielt, aber weit in die Vergangenheit hineinreicht. Er wird im Wesentlichen aus zwei Perspektiven erzählt. Da ist einmal Astrid, eine junge Frau, die sich mit großem Engagement als Biologin für den Fortbestand unberührter Lebensräume einsetzt. Sie ist die Enkeltochter von Franz, einem alten Mann, der seine geliebte Frau Bärbi lange verloren hat. Seine Einsamkeit lässt zunehmend schmerzhafte Erinnerungen aus Kindheit und Jugend hervorbrechen, die die zweite Perspektive des Romans abbilden. Diese Rückblicke führen bis in die Zeit zwischen den Weltkriegen zurück. Franzens Vater war ein harter Mann, der den Hof als despotischer Patriarch dominierte:

„Wenn der Vater übers Feld ging, wusste das Getreide, dass es wachsen musste; die Äpfel färbten sich rot und die Mostbirnen füllten sich mit hantiger Süße und später schäumte der Most im Fass und der Vater war zufrieden, alles fügte sich seinem Willen.“ S. 33

Besonders die älteren Brüder Toni und Leonhard hatten unter ihm zu leiden. Franz war noch zu jung, fühlte sich aber vernachlässigt und wenig wahrgenommen. Erst mit Geburt seiner kleinen Schwester Elfi tritt Liebe und das Gefühl gebraucht zu werden in sein Leben. Die Zeiten sind schwer auf dem Lande, sie bestehen überwiegend aus Pflichten und harter Arbeit. Der aufstrebende Nationalsozialismus greift in viele Lebensbereiche ein. Als der Krieg beginnt, müssen auch Franzens ältere Brüder als Soldaten an die Front. Die Biografie des Krieges spiegelt sich in den berührenden Erinnerungen des alten Mannes wider. Sie wirken hautnah und authentisch, gehen zu Herzen. Unglaublich, wie Schulkinder vom Lehrer indoktriniert wurden, wie die Kirche eindeutig Position bezog, wie unschuldige Menschen plötzlich aus der Dorfgemeinschaft verschwanden, wie der Vater mit unsäglicher Härte das Regiment führte.

Dagegen der Bericht des Bruders über seinen Wehrdienst: „Der Krieg ist nicht lustig. Das sind Bauern. Die sind wie wir. Die bestellen ihre Felder, die machen ihren Wein, die haben Kühe und Schweine und Hühner, die sind genau wie wir. Und wir, wir machen alles kaputt.“ S. 84

Die Familie hat viele Schicksalsschläge zu verwinden. Es hängt eine Melancholie über dem gesamten Roman. Die aktuelle Perspektive Astrids lockert das Geschehen auf. Sie liebt ihren Franzopa über alle Maßen. Sie besucht ihn regelmäßig und kümmert sich um ihn. Deutlich wird aber auch, dass Franzens Erlebnisse in der Familie weiterwirken, dass es ungelöste Konflikte und verschwiegene Ereignisse gibt, die Auswirkungen bis in die Gegenwart haben. Nach und nach heben sich die Vorhänge, werden die Geister der Vergangenheit sichtbar, kommen auch gut gehütete Geheimnisse ans Tageslicht. Die Verzahnung der verschiedenen Ebenen ist wunderbar gelungen.

Man könnte nun meinen, das Buch bringe im Kern nichts Neues, solche Geschichten habe man schon oft gelesen – dem ist aber nicht so! Das Besondere an diesem Roman ist die Erzählweise, die sehr sinnbetont und atmosphärisch das Leben auf dem Land damals wie heute schildert. Die bildreiche, poetische Sprache zeugt von großer Naturverbundenheit, Passagen in Mundart von Heimatliebe. Franz´ prägende Lebensgeschichte steht für sich, regt zum Nachdenken an, ohne belehren zu wollen oder larmoyant zu sein. Sie könnte sich genau so zugetragen haben und beweist, wie wichtig es ist, sich erlebten Traumata zu stellen. „Wir sind nicht frei von der Geschichte, aber wir sind ihr auch nicht ausgeliefert“, heißt es im Buch. Man muss sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Als Warnung und Vorsorge für die Zukunft. Verdrängen ist keine Lösung, zu keiner Zeit.

FANZI ist kein Gute-Laune-Buch, sondern reiht sich nahtlos in die Kategorie „Bücher gegen das Vergessen“ ein. Man hat einen Kloß im Bauch während der Lektüre, so nah und realistisch wirkt der Inhalt. Trotzdem vermittelt der Roman gegen Ende auch Bewegung und Hoffnung für die Protagonisten. Elisabeth Schmidauer ist ein bis zum Ende fesselnder, glaubwürdiger Familienroman in außergewöhnlich dichter Sprache gelungen, der das Schicksal der Kriegs- und Nachkriegsgeneration exemplarisch abbildet und lange nachwirkt. Lese-Empfehlung!