Kriegsverbrechen und Traumata, Schuld und Vergebung

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Elisabeth Schmidauer zeigt auf eindringliche Art wie traumatische Kriegserlebnisse Familien noch Generationen später beeinträchtigen.

Franz lebt mit seinen zwei älteren Brüdern und seiner jüngeren Schwester Elfi auf einem Bauernhof in der Gegend um Linz in Oberösterreich. Der Vater war als Soldat im ersten Weltkrieg - immer wieder holen ihn Albträume ein. „Erzähl mir vom Krieg, sagte Franz, er steckt in mir, keuchte der Vater, er steckt immer noch in mir drin“ (S.91). Auch Franz werden die Albträume seines Vaters und seine eigenen Schuldgefühle ein Leben lang begleiten.

Der Roman setzt in der heutigen Zeit ein. Aus der Perspektive von Franz erfahren wir rückblickend von den Geschehnissen in seiner Kindheit. Der zweite Erzählstrang konzentriert sich auf seine Enkelin Astrid, die als Biologin eine wissenschaftliche Perspektive auf die Natur, die Entstehungsgeschichte der Erde und die Rolle des Menschen einnimmt. Außerdem treten durch ihren Blick die Folgen der Kriegszeit auf die nachkommenden Generationen deutlich hervor.

Indirekt im Roman präsent ist Elfi, die geliebte kleine Schwester, die den Namen ihres Bruder Franz lange Zeit nicht aussprechen konnte und ihn Fanzi nannte. Elfis Geschichte und die Umstände ihres frühen Todes werden erst spät im Roman enthüllt und haben mich mit einer solchen Wucht getroffen, dass ich kurz innehalten musste, bevor ich weiterlesen konnte.

Schmidauer fängt die Atmosphäre der Zeit während des zweiten Weltkrieges sehr gut ein. Immer wieder erschafft sie Bilder des Grauens, der Verzweiflung, der Angst, der Hilf- und Sprachlosigkeit. Zwischendurch verwendet sie in der wörtlichen Rede Dialekt. Für Ungeübte ist das nicht immer einfach zu lesen; es verleiht dem Roman aber eine große Authentizität und gibt den Geschehnissen eine Lebendigkeit, die sich unmittelbar überträgt. Interessant ist Astrids Blick auf die Menschheitsgeschichte - aus Perspektive der Biologin ist die Epoche der Menschheit kaum der Rede Wert - und trotzdem kann soviel Leid in einem Menschenleben stecken. Astrid thematisiert Klimawandel, Artensterben und kritisiert die vom Menschen festgelegte Unterteilung in Nützlinge und Schädlinge. Jedes Lebewesen hat seinen Wert und seinen Sinn im biologischen Gleichgewicht und so gilt es das Artensterben nicht nur für die beliebten Kuschel- und Zootiere aufzuhalten, sondern auch für Käfer, Spinnen, Asseln und sonstige Kleinstlebewesen. Hier drängen sich Parallelen zur Nazi-Ideologie auf, in der zwischen unwertem und wertem Leben unterschieden wird.

Schmidauers Sprache bedient sich oftmals Aufzählungen von Nomen, Verben, Adjektiven. Viele dieser Sätze haben mir gut gefallen, da sie dem Text Rhythmus und inhaltlich das Bild um mehrere Facetten erweitern. Manchmal waren mir die Aufzählungen aber auch zu viel. Der Roman beginnt langsam, leise und steigert sich - bis etwa zur Hälfte hatte ich meine Zweifel, ob die erzählte Geschichte mich erreichen kann. Nach etwas mehr als 100 Seiten war ich dann aber eingefangen und die Geschichte von Fanzi und seiner Familie hat mich mit großer Intensität und Wucht getroffen.