Schicksale in Zeiten der Diktatur

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kainundabel Avatar

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Es gibt sie überaus zahlreich: Romane aus der unsäglichen Zeit der Nazi-Diktatur. Aber jedes dieser realen oder fiktiven Schicksale berührt immer wieder und lässt einen oft fassungslos zurück. Wie war das möglich? Wie konnte all das Unglaubliche passieren? Wie wurden aus Freunden Feinde und Denunzianten? Eine Antwort darauf kann auch Mechthild Borrmanns neuer Roman „Feldpost“ nicht geben. Sie lässt uns teilhaben am Schicksal der Familie Kuhn, insbesondere ihrer Kinder Adele und Albert. Ein Stapel Feldpostbriefe, den eine zunächst Unbekannte der Kasseler Anwältin Cara Russo übergibt, löst Nachforschungen aus, die ein bis dato gehütetes Geheimnis an den Tag bringen: die Liebe zwischen Albert Kuhn und dem heute verheirateten Richard Martens. Gleichgeschlechtliche Liebe in Zeiten von Rassenwahn und Gefasel von deutschem Blut und deutscher Ehre, „Widernatürliches, abartiges Verhalten“ unter dem Hakenkreuz. Für die Machthaber undenkbar, für die Betroffenen ein Martyrium. Die Schatten reichen bis in die Gegenwart, die Frage nach der eigenen Schuld und Mitverantwortung ist plötzlich wieder da, wenngleich sie nie wirklich weg war.
Die Autorin erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen, anfangs der 2000er-und der 1930/40er-Jahre, und weckt eine tiefe Empathie für die Protagonisten. Mitunter leidet der Erzählfluss an einem eher sachlich-referierenden Sprachstil, der den Eindruck erweckt, als gelte es, möglichst viel Rechercheergebnisse in möglichst schneller Folge unterzubringen. Da fehlt es mir an Charaktertiefe. Etliche Passagen hätte ich mir weniger betulich, dafür intensiver gewünscht, auch gerne auf Kosten eines allumfassenden Panoramas. Ansonsten erweist sich die Autorin, wie auch in ihren vorhergehenden Romanen, als genaue und detailreiche Beobachterin. Ein handwerklich passabler Roman, für Borrmann-Fans sicher ein Muss.