Ein überaus kunstvoll geknüpfter literarischer Gobelin

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angélica Avatar

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Ein geheimnisvoller Wandteppich ist Dreh- und Angelpunkt des Romans.
'Plötzlich und unerwartet' liegt er in Greifswald auf dem Tisch.
Von ihm ausgehend knüpft die Autorin Karin Kalisa ihren schweren, da motivisch reichen, überaus kunst- und fantasievollen, zudem handwerklich meisterhaft gearbeiteten 'literarischen Gobelin'.
Einmal im Seelenraum drapiert, ermöglicht er dem Leser immer wieder betrachtendes Entdecken und Staunen.
Der in märchenhaften, nahezu überirdisch anmutenden Grüntönen changierende Fischerteppich weist eine rätselhafte Rahmenbordüre auf, welche ein Hauptbild voll segelnder Koggen fasst.
Der Erzählteppich hingegen mutet zunächst zweiteilig an, wobei die eine, etwas größere Hälfte, diejenige der Faserarchäologin und ehemaligen Bandagistin Mia, als eigentlicher Gegenwarts-Strang, jedoch auch Schlaglichter in ihre Vergangenheit wirft. Traumatische Erlebnisse, Freundschaften aus Kindheit und Jugend beleuchten ihre Entschlüsse und ihren Aufbruch nach Zagreb.
Dort kommt sie nicht nur dem Teppich auf die Spur, was dann die zweite, kleinere Hälfte des Erzählteppichs bildet:
Recherchen führen sie in die Vergangenheit, ins Jahr 1929 und erstrecken sich von dort gut 60 Jahre hin bis 1990. Zuletzt ist des unvergleichlichen Unikat's Geschichte, bzw. die seiner Schöpferin, der kryptischen Nina, ergründet.
Fast wesentlicher jedoch ist Mia's Begegnung mit Milan. Das 'gebrannte Kind' in ihr findet in ihm, während einer Reihe von zauberhaft zelebrierten Tagesbesuchen in einer fast ausgeräumten Teppichwerkstatt, den Seelenverwandten und es gelingt wie nebenbei das schier Unmögliche. Ein tiefes Vertrauen in ein männliches Gegenüber ersteht neu wie der Phönix aus der Asche ihrer Kindheit.
Sehr verborgen vollzieht sich diese 'Heilung' und führt den Leser in tiefe, stille Schichten des Unaussprechlichen.
Kaum eine andere Liebesgeschichte mag dem Vergleich in Zartheit und wachsender Intimität, die sich hier 'zwischen den Zeilen' ergibt, standhalten.
Überraschend entsteht so in der komplementären Stimmung aller nur erdenklichen Schattierungen warmer Rottöne ein innerliches Pendant zur Vielfalt der Grüntöne im Teppich.
Nach ihrer Zeitreise durch das Zwanzigste Jahrhundert auf dem 'fliegenden Fischerteppich' folgt Mia Milan's Ruf nach Triest.
Und fast scheint es nun so, als wäre doch auch der Erzählteppich kein zweigeteilter, sondern ebenfalls von einem Rahmen umgeben, nämlich mit Mia's Wegsuche durch's Leben. Und diese flösse als lebendiges und sich weiter noch entwickelndes Muster um die bewegte, aber abgeschlossene Geschichte von Nina, der Teppichknüpferin.
Auf den Vorsatzpapieren des Buches, sowohl vorne als auch hinten, verbindet eine in feinen Sepiatönen gehaltene Landkarte die beiden Zeit-Teile des so verschlungen geknüpften Gobelins im Raume, alle Stationen des Romans sind fettgedruckt. Und in manch einer von ihnen gibt die Vergangenheit der Gegenwart die Hand.
Im kurzen, prägnanten Nachwort erläutert die Autorin ihre Art des Verknüpfens von Fiktion und Wirklichkeit, ein Bonbon zum Schluss.

Sprachlich auf hohem Niveau und dieses facettenreich ausgestaltet, vermag der gut 250 Seiten umfassende Band anspruchsvolle Gemüter zu befriedigen.
Präzise Fachkenntnis (z.B. im Bereich der Faser-Archäologie) anschaulich zu schildern eignet der erstaunlichen Autorin ebenso wie lyrisch-malerische Ausdruckskraft (etwa in der Beschreibung des Teppichs).
Das Buch erzieht durch seine Komplexität zur Bereitschaft 'gesteigerter Lese-Intensität', die aufzubringen mehr als lohnend ist.