Seemannsgarn und Teppichkunst

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Denkt man an Ostseefischer, fallen einem nicht sofort Teppiche ein, mir zumindest nicht. Doch tatsächlich sind die Pommerschen Fischerteppiche kulturgeschichtlich durchaus interessant, entstanden sie doch aus einer Notlage heraus. 1928 wurde ein dreijähriges Fangverbot ausgesprochen, um den Fischbeständen der Ostsee vor Greifswald und Stralsund die Möglichkeit zu geben, sich zu erholen. Den nun arbeitslosen Fischern und ihren Frauen wurde das Teppichknüpfen beigebracht, damit sie trotzdem Geld verdienen konnten. Der extra dafür engagierte österreichische Tapisserist lehrte sie die Knoten der Orientteppiche, regte sie jedoch gleichzeitig dazu an, eigene Muster aus ihrer Lebenswelt zu verwenden.
Karin Kalisas Roman beginnt auch mit einem Teppich, und zwar mit einem farblich sehr besonderen Exemplar, das nicht ganz in das Bild der traditionellen Fischerteppiche passt. Die Museumskuratorin Mia Sund bekommt ihn auf ihren Tisch gelegt, und er weckt sofort ihre Neugier. Allerdings hat ihr Interesse auch mit ihrer eigenen Vergangenheit zu tun, und so begleiten wir sie nicht nur bei der Suche nach Informationen zur Teppichknüpferin, sondern erfahren nach und nach mehr über ihre eigene Vergangenheit, die nicht ganz so harmlos ist wie sie scheint. Die Autorin verknüpft hier volkskundliche Fakten mit der fiktiven Lebensgeschichte einer handwerklich geschickten Arbeitsmigrantin und Betrachtungen über Kunstfälschungen und kulturelle Beeinflussungen. Das ist durchaus spannend zu lesen, auch wenn mir einige der Fäden und Verknüpfungen mitunter etwas zu viel waren. Trotzdem mochte ich diese Geschichte um Namenswechsel und Identität, Täuschung und Wahrheit und dass man letztere nicht immer problemlos auseinanderhalten kann. Kalisa zeigt, wie porös Grenzen schon immer waren, egal ob es sich dabei um geografische oder kulturelle Grenzen handelt. Jeder Austausch birgt die Chance, etwas Neues zu erschaffen. Und manchmal geschieht das sogar in einem kleinen Fischerdorf an der Ostsee.