Eine Großvater-Enkel-Geschichte der merkwürdigsten Art

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Der 14-jährige Frank lebt mit seiner Mutter, einer Schneiderin am Theater, in Wien. Zu seinem Vater, der beide vor vielen Jahren verlassen hat, hat er keinen Kontakt. Der Roman beginnt damit, dass Mutter und Sohn den Großvater abholen, der nach der 18-jähriger Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen wird. Schon die erste Begegnung von Großvater und Enkel ist seltsam, der Großvater vereinnahmt den Enkel und schickt die Mutter weg. Der alte Herr wirkt in seinem Verhalten überhaupt nicht resozialisiert. Er pflegt einen harschen Umgangston mit Tochter und Enkel, zeigt sich gewaltbereit und manipulativ. Wehe, man kommt ihm in die Quere. Der Grund für seine langjährige Inhaftierung wird nicht offenbart, allerdings werden mehrere Fährten gelegt, die zu Vermutungen verleiten. Eine Petitesse wird es nicht gewesen sein. Seine Tochter hat sichtlich Angst vor ihm. Dort, wo sie ihrem Sohn auf Augenhöhe begegnet, lässt sie sich von ihrem Vater ganz klein halten und reduziert die Begegnungen mit ihm auf ein Minimum.
Und Frank? Frank ist anders als jeder 14-jährige, den ich kenne oder in der Vergangenheit kannte. Freunde, Peer Group, Handy, Internet, Computerspiele, Sport, Mädchen – nichts von dem, was Jungs in seinem Alter normalerweise interessiert, ist für ihn ein Thema von Belang. Umso überraschender ist seine detaillierte Kenntnis über Waffen. Er wirkt einzelgängerisch, introvertiert, auch reflektiert, und hat ein für sein Alter seltsam enges Verhältnis zur seiner Mutter. Beide, Mutter und Sohn, wirken wie Vertreter aus einer anderen Zeit. Frank ist der Erzähler der Geschichte. Er berichtet. Wertet nicht, urteilt nicht. Auch dann nicht, als die Handlung eine alptraumhafte Wendung nimmt.
Die Leseprobe dieses Romans fand ich außerordentlich beeindruckend. Mit dem vollständigen Werk weiß ich jedoch nicht so richtig, wie ich es in meiner Werteskala einordnen soll. Sprachlich ist es auf das Beste gelungen. Auch der Spannungsbogen hält den Erwartungen stand. Ich habe es zügig gelesen und wollte auch wissen, wie es sich entwickelt. Aber …
Mit „Frankie“ hat Michael Köhlmeier eine Coming-of-age-Geschichte vorgelegt, deren Protagonist völlig anders ist als J.D. Salingers Holden Caulfield oder Benedict Wells‘ Sam. Während diese beiden Autoren zu einem Ende kommen, das auf eine positive weitere Entwicklung hoffen lässt, ist bei Köhlmeiers Werk am Schluss in Anlehnung an Bert Brecht „der Vorhang zu, und alle Fragen offen.“ Dieser ungewisse Ausgang ist es, der mich ratlos zurücklässt. Ist es ein gutes Buch? Urteilt selbst, ich vermag es nicht zu sagen.