Sehr einfühlsam erzählt

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frischelandluft Avatar

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Ein wunderschöner Anfang, den man gut nachvollziehen kann: der Moment, in dem man vor der Haustür des Elternhauses steht, wo man lange nicht gewesen ist, zumindest nicht in Person, nur in Gedanken. In dem Moment bleibt die Zeit stehen und die Vergangenheit wird so präsent wie die Gegenwart. Alles ist wieder da, die Menschen, die Situationen und die Gefühle. Und damit auch der Schmerz über das, was vorgefallen ist und die Sehnsucht nach denen, die nicht mehr da sind. Als Erwachsene nachhause zu kommen ist immer auch die eigene Kindheit zu besuchen. Umso schwieriger wird es, wenn die Rollen wechseln und die Eltern krank und zerbrechlich werden oder sterben. Der Vater befindet sich schon näher an der Schwelle zwischen dem Hier und dem Jenseits, er denkt mehr an das, was kommt, an das Danach. Das Rollenverhalten, das sich über Jahre entwickelt hat, funktioniert nicht mehr, weil sich zu starke Parameter verändert haben. Aus lieben Erinnerungen wird manchmal schmerzhafte Sehnsucht, Konflikte nicht lösbar, weil die Person, mit der man die Konflikte hatte, so nicht mehr existiert. Wenn man sich lange nicht gesehen hat, hat man womöglich den Anschluss verpasst, eine Person erinnert sich vielleicht eher an die guten Momente, die andere trägt Groll mit sich herum, es ist schwierig nahtlos anzuknüpfen, denn man hat viel verpasst. Am Ende der Leseprobe wird Franziska weicher, kompromissbereiter. Daher wirkt der Satz des Vaters wie ein Schlag ins Gesicht, „Wann fährst du wieder?“, auch wenn es vielleicht gar nicht so gemeint ist. Gleich wird klar, hier sind zwei, die nicht gut miteinander kommunizieren.
Der Roman scheint nach der Leseprobe sanft und einfühlsam erzählt zu sein, es gefällt mir außerordentlich gut, wie sich die Erzählerin den Charakteren nähert, wie die Perspektive wechselt und man dadurch Vater und Tochter gleichermaßen nahe kommt. Mir ging die Leseprobe schon ziemlich nahe, vielleicht weil ich vor ein paar Jahren in einer ähnlichen Lage war. Ich möchte unbedingt weiterlesen. Nach der Leseprobe fände ich es schöner, wenn auf dem Cover Vater und Tochter und nicht zwei Frauen abgebildet wären, aber vielleicht ergibt sich das noch aus dem restlichen Text.