Selbsterkenntnisse in den Bergen

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Das Titelbild des Romans "Für einen Sommer und immer" von Julie Leuze weckt durch den blau gestalteten Himmel mit den weißen Wolken Assoziationen von etwas Harmonisch-Weichem, die Schirmflieger der Pusteblume vermitteln ebenfalls Leichtigkeit und Lebendigkeit und das Rot der Überschrift lässt einen an Liebe denken.

So positiv, wie einen also das Titelbild stimmt, so wenig passt zunächst das Bild, das man von der Ich-Erzählerin Annika erhält, dazu: Ist sie doch eine kühle, beherrschte, sehr auf ihr Äußeres bedachte, teilweise zickige Frau Anfang dreißig, die konsequent versucht, ihre Gefühle, die Stück für Stück ihren Weg nach außen suchen, in Schach zu halten: "Ich blicke auf die winzigen feuchten Flecken auf dem Tischtuch, dort, wo meine Springbrunnentränen hingefallen sind. Guter Gott, wann habe ich zuletzt in der Öffentlichkeit geheult?" (Seite 10). Eine Frau, die sich selbst aber auch realistisch reflektiert: "Aber als ich davonrausche, um mich auf eigene Faust auf die Suche nach einem Fitnesspfad zu machen, erblicke ich mich unvermutet in dem großen, prächtigen Spiegel, der den Eingangsbereich ziert. Und mein Triumphgefühl verfliegt. Denn ich sehe eine schöne Frau von zweiunddreißig
Jahren, mit milchweißer Haut und glattem, glänzend rotblondem Haar, das sie zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden hat. Sie ist gewandet in teure, blass türkisfarbene Sportkleidung, die ihre Kurven betont und perfekt zu ihren blaugrünen Augen passt. Man sieht der Frau auf den ersten Blick an, wie viel Wert sie auf eine makellose Erscheinung legt … und wie angespannt und unzufrieden sie sich fühlt. O Mann, denke ich erschrocken. Diese arrogante Zicke – das bin ich?" (Seite 18)

Ihre Mutter ist schwer erkrankt und sie scheint die Nachricht erst einmal verdauen zu müssen: "denn plötzlich kommt es mir absolut bescheuert vor, dass ich nach dem Gespräch mit meiner Mutter unverzüglich ins nächste Reisebüro marschiert bin und irgendetwas gebucht habe, irgendetwas,Hauptsache, weit genug weg von zu Hause, mit einem exzellenten Restaurant und für drei Wochen am Stück verfügbar. Denn genau so bin ich in diesem Dolomitenkaff gelandet.Um noch ein paar Wochen Atempause zu haben, bevor ich mich einer Realität stellen muss, die ich nicht ertrage" (Zeile 21). Aber ihr Verhältnis zu ihrer Mutter scheint auch nicht ganz unproblematisch zu sein: " meine Mutter ignoriert mich wieder einmal" (Seite 13) / " Im Bett schreibe ich meiner Mutter eine SMS, versichere ihr, dass ich sie liebe, lösche die SMS wieder und schalte das Handy aus. Meine Mutter ist keine Freundin großer Gefühle; selbst als mein Vater gestorben ist, habe ich sie kein einziges Mal weinen sehen." (Seite 24).

Der Wunsch danach, Kraft zu tanken, hat sie in die Dolomiten verschlagen: "Bald bin ich tiefenentspannt, muss nichts mehr verdrängen und kann mich allem stellen." (Seite 7). Aber so recht gelingt ihr das noch nicht, vielleicht, weil ihre "Seele dem Verstand hinterherhinkt" (Seite 7). Es zeigt sich, dass sie nicht so spröde und abgeklärt ist, wie sie sich zeigt.

Insofern kann man vermuten, dass es in dem Roman um Selbstauseinandersetzung und Selbstfindung gehen wird. Und vielleicht spielen darin Liebe und Leichtigkeit und Lebendigkeit doch auch eine zentrale Rolle.